Trail Magic II: oder Wunder gibt es immer wieder

Wenn mich jemand gefragt hätte, ob ich jemals mit einem ehemaligen Investmentbänker, der nach drei Jahren Pause wieder überlegt ins Geschäft einzusteigen, einfach nur weil er nicht genau weiß was er mit der kruden Mischung aus dem B.A. in griechischer Philologie an der LMU und dem obgligatorischen Master in Law and Finance in Oxford anfangen soll, ein Bier trinken gehe würde, hätte ich wahrscheinlich nein gesagt. Aber ich habe keine Prinzipien mehr, nicht weil es sich nicht lohnt welche zu haben, sondern weil sie das Ende vom Denken sind. Es ist vier Uhr morgens. Ich weiß nicht das wievielte Bier ich trinke, Tommy's Weißweinschorlen habe ich auch nicht mitgezählt. Es waren viele bisher. Das Halbvolle Glas vor mir soll das Letzte werden. Wir sind in einer dieser Frankfurter Absturzkneipen gestrandet, denen Jörg Fauser in Rohstoff und seinen Kurzgeschichten ein Denkmal gesetzt hat. Der Altenheimkoch und Freizeitzauberer aus Novi Sad, der mir gezeigt hatte wie man Zigaretten in Pullovern ausdrückt ohne Brandlöcher zu hinterlassen oder mein Handy in der Mitte knickte, ist auch da und sitzt schweigend vor seinem Bier, den Zauberkoffer neben dem Barhocker; ein paar Studierende der Städelschule und des Fachbereichs Gesellschaftwissenschaften diskutieren, welche Auswirkungen Adornos Kunstverständnis auf das Selbstverständnis Kunstschaffender im Spätkapitalismus hat; Zwei Typen sitzen schweigend vor ihrem Herrengedeck, vorher haben sie leidenschaftlich sich über die die letzten Bildzeitungsheadline und über Handy- Verträge gestritten. Blauer Dunst wabert durch den Raum, im Fernsehen flimmert "Best of... Wer wird Millionär", Musikfetzen aus der Jukebox und das Lachen des Wirts, der, wenn er nicht über sein neu gewonnenes Rentner-Dasein feixt, zapft was die Hähne hergeben.
"Ich habe einfach dein Insta gesehen und gedacht. Geiler Typ. Geile Aktion, so'n Hike. Das will ich unterstützen. Egal wie. Und ich war eh da unten, ich wusste, da kommste vorbei...und naja...den Rest kennen wir ja." sagt Tommy, wobei ich im Dunst des Alkohols gar nicht mehr genau weiß, warum er das sagt. Vielleicht habe ich ihn vorher gefragt...

Ich hatte gerade Bad Nenndorf ereicht, Tag 22, Trail-Kilometer 730irgendwas auf dem E1, als Tommy mir schrieb. "hike on! finde deine posts Klasse und dein base weight ziemlich krank. Wenn du im Süden bist und bissl Trail Magic brauchst sag an...". Tommy folgt mir auf Instagram. Ob seit diesem Tag, weiß ich nicht. Auf einmal war er da, für mich in meiner Wahrnehmung mit dieser DM. Bis zu jenem Tag 51 on trail haben wir immer wieder DM's ausgetauscht, Insta-Diesdas gemacht. Liken, Kommentieren. Wir haben uns so instant kennengelernt, wie es auf solch einer Plattform eben geht von Werbung durchsetzt eine "Halbinsel gegen den Strom", fällt mir mit Friederike Habermann ein, obgleich sie damit etwas anderem ein Bild geben wollte. Uns über Grüne Soße, Altra Running Modelle ausgetauscht, Instant-Trashtalk. Für mich Abwechslung zum Trailalltag. 


 
845 Kilometer und 29 Tage später. Trailkilometer 1575. Ich beende gerade einen dieser verrückten Tage meines Thru-Hikes auf einer Parkbank oberhalb von Schwann, einem Ortsteil Straubenhardts. Ich schaue der Sonne beim Untergehen zu, es ist 21.29 Uhr, ich bin seit 4.30 Uhr oder so wach, habe bis 12 Uhr 35 Kilometer abegrissen um pünktlich vor Geschäftsschluss beim Rennwerk in Pforzheim anzukommen - sie machen um 14 Uhr zu Mittwochs und nach über 1550 Kilometern haben meine Altras keine Dämpfung und kein Profil mehr. Der Tag war brüllend heiß, die Nächte davor nicht erholsam, weil sie nicht runterkühlen. Ich kann jeden Morgen meine Quilt auswringen. Es ist immer noch drückend heiß; ich habe 50 Kilometer heute in den Knochen - vier Stunden Pause in Pforzheim, sind von den Höhenmetern in Neuenbürg aus mir herausgesaugt worden -; und einen Platz zum biwakieren habe ich immer noch nicht gefunden. Ich bin geneigt in solchen Situationen kleine Fluchten anzustellen und mich statt dem konkreten Problem auseinanderzusetzen, zum Beispiel auf Insta zu posten - ich glaube fast, dass dies aber nicht viel mehr ist, als eine eigentümliche Lösungsstratgie, in der ich den Stress und die Anspannung sublimiere und in Posts umwandel und auf der anderen Seite es Kontemplation ist durch Verschiebung der Objektfixierung...Danke Freud. Eine DM wird mir angezeigt. Tommy. "Jo...bin ab morgen bis sonntag am titsee und wie ich dass sehe, geht dein weg entlang. also vllt wird es ja tatsächlich was mit bissl mehr TrailMagic. haben AirBnB da...Dusche und warmes Essen wartet auf dich". Es ist Mittwochabend. Bis Titisee sind es 176 Kilometer. Kopfrechenen. Mit den Fingern abzählen, nach 50 Kilometern wandern geht nicht immer alles. Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag. Minus der Abreise von Tommy, 3,5 Tage. Abitioniert, aber machbar. Wir tauschen zwei, drei DM's aus. Ich schlage mich in den Büsche hinter der Bank finde einen Bivi-Spot und schwitze mich mit Moskitos kämpfend in den Schlaf. Titisee. Ambitioniert, aber machbar. 
Trailkilometer 1650. Es ist Freitagabend halb sieben, ich sitze auf dem Schliffkopf. Esse zu abend und telefoniere mit Tommy. Es sind noch 120 Kilometer bis Titisee. Abitioniert und definitv nicht machbar. Ich werde an dem Tag tatsächlich noch um die 14 Kilometer laufen. Wieder ein Marathon, inklusive brutaler Höhenmeter. Es wird nicht reichen. Tommy hört sich bekifft an am Telefon, vielleicht ist er es. Er ist mit seinen Jungs da. Am Samstag steht Daytime Drinking auf dem See an. Vielleicht ist er einfach nur fertig vom Party machen. Wir verabreden, dass wir nicht viel verabreden. Er geht feiern. Ich geh weiter hiken. Magisch wird es werden, wahrscheinlich nicht persönlich. Am nächsten Tag unternehmen wir noch einmal einen Versuch einen möglichen Treffpunkt zu koordinieren, irgendwo an der B 500. Süßes Häusle vielleicht. Es wird nichts. Tommy sagt er versteckt mir was. Das stelle ich mir mit Blick auf die Zersiedelung Titisee gewagt vor, glaube nicht daran, dass das klappt. Wahrscheinlich ist es nur die Enttäuschung ihn nicht persönlich kennen zu lernen.
Bis Sonntagabend, schaffe ich es tatsächlich 10,12 Kilometer vor Titisee zu kommen. Gute 160 Kilometer in vier Tagen stelle ich befriedigt fest. Ich sitze in der Doldenbühler Hütte und das Schwarzwaldklischee aus weidenen Kühen, vor dunklen weiten Nadelwäldern und eigenstreuten Höfen wird von der Abendsonne perfekt inszeniert. Ich bin aufgekratzt, es ist wie ein kindliches aufgeregtsein. Ich lächel ob der Erkenntnis und freue mich auf den nächsten Tag.
Tommy hat mir per SMS eine schriftliche und bebilderte Beschreibung geschickt, dazu noch einen Marker auf Maps. Save. Auf dem Weg merke ich, dass in mir die irrationale Angst aufsteigt, dass jemand, dem von ihm aus Kies gezeichneten Pfeil ins Bachbett folgen könnte und mir mein Trail Magic wegnehmen kann. Ich weiß seit dieser Nachricht nur soviel: es muss gekühlt werden. Ich bin phantasielos was es sein könnte, möglicherweise will ich es auch gar nicht wissen, damit die Überraschung um so größer ist. 





Eine Mischung aus frühkindlicher Trotzigkeit, UL-Stolz und post-aduleszenter Rebellion veranlassen mich das Bier direkt zu trinken. Es ist angenehm kalt. Warum sollte ich die 750 Gramm mehr schleppen, um sie am Ende des Tages nicht sprichwörtlich, sondern real pisswarm zu trinken und soviel Klischee-Punk-Rock steckt noch in mir, als dass es nicht als an rotziges Anti erscheint. Hier und Jetzt. Montagmorgens, 10 Uhr. Vor dem Golfclub Titisee Neustadt. Ich bin seit 360 Kilometern ungewaschen. Ich lächel. Ob des zufriedenstellenden Abnickenens meine Selbstinszenierung oder der Selbstinszenierung an sich weiß ich nicht. Ein Mischung aus beidem. Mein provokanter Gestus, sofern er denn wirklich intendiert ist und nicht bloße Inszenierung der Inszenierung ist, wird von wohlwollender, freundlicher Beachtung absorbiert. Golfer - alles Männer, alle Fünfzig Plus, alle unverschämt braun gebrannt - lächeln und nicken mir zu. Eine Lehrstunde in Pädagogik für mich. In einem wohligen Dunst des Biers auf nüchternen Magen, verstaue ich Schinken, ein Messer mit neongelben Glitzer-Plastikgriff, Ibuprophen und Instant-Kaffee. Schreibe Tommy ein Danke und passiere nach wenigen Metern leicht betrunken das Ortschild Titisee 

(Anm.: Titisee ist eine gerontophile Masturbationsvorlage aus westdeutschen 70er Jahre Revox-Pornos und einem globalisierten Klischee-Schwarzwald-Disneyland. Ich hätte es nüchtern nicht ertragen.) 




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