ROAD MOVIE - Thru Hikers Chiffre.

 
“The air was soft, the stars so fine, the promise of every cobbled alley so great, that I thought I was in a dream.” schreibt Jack Kerouac in dem Roman, der Anfang und Ende seiner literarischen Karriere markieren sollte, On the Road und schenkte der Popkultur, zuerst Amerikas und später dem dem Rest der Welt, das ikonographische Motiv des Unterwegs seins. Das rastlose getrieben sein, aufgesprittet mit Speed, Marihuana, Be-Bop, Sex in den Weiten den Vereinigten Staaten; immer auch auf der Flucht vor dem Knast der Konventionen der 1950er Jahre und seinen Ansprüchen an Reihenhäuschen in den Dead End Alleys eines verödeten Suburbias, dem Eingepfercht-Sein in eine romantisch verklärte Familienidylle, in ständiger Panik vor dem sowjetischen Atomschlag und den kleinen Möchtegern McCarthy's der Nachbarschaft, einer regiden puritanischen Sexualmoral, die nur noch dem Imperativ der Reproduktion kleiner, stolzer Amerikaner zu dienen habe, Kanonefutter für die Kriegsmachinerie, Konsumautomaten für die Heimatfront und Flaggenträger des Amercian Way of Life - Spaß sieht anders aus! One wheel in my hand, four on the road - wenn dann das Versprechen jeder gepflasterten Allee ins Reich der Freiheit führt... Go for it. 
Die Motivik wird frei Haus mitgeliefert. Der Soundtrack ist zeitgenössisch und untermalt die Bewegung des normadischen Subjekts zwischen den Orten, Start und Ende... manchmal ikongraphisch inszeniert, manchmal irrelevant, ist der tatsächliche Inhalt die Reise selbst, das innere und äußere Erleben, die Bilderwelt jener on the road. Der konkrete Ort, die Straße ist der Transitions- und Inszenierungsraum dieser Erfahrung und als Metapher  der räumlichen Fixierung der rast- und ruhelosen beständigen Bewegung. Ein widersprüchlicher Ort, ewiger Jugend der Protagnist*innen, sofern die Straße nicht als Bewährungsraum vornehmlich der Mann-Werdung apostophiert wird, zumindest aber als jender Ort, an dem die verlängerte Adoleszenz einer bestimmten post-modernen Klasse, die Möglichkeit ihres Ende finden kann- Nachreifen, oder Erwachsen-Werden. Die Straße als Metapher für einen Raum der Freiheit, eines sehr amerikanischen ewigen go west, eines Immer-Weiter, was wiederum als Globalmetapher auf den grenzenlosen Wachstumswahn der kapitalistischen Ökonomie verweist, einschließlich der rücksichtlosen Vernichtung der natürlichen und menschlichen Ressourcen, die Kitt und Schmiermittel der großen Maschine sind. Als Gegenort - nicht zu letzt bei Kerouac männlich-archaisch verklärt- Fluchtort und Gegenwelt bürgerlicher Ordnungsvorstellungen: Sex, Drugs und Rock'n Roll, Baby. Drück auf die Tube! Und Ab dafür! Ist die Straße zugleich Ort eines Gegenentwurfs einer sich herausbilden Sozialität und spezifischen Subjektivität, mit eigener Sprache, eigenen Codes, eigene Ritualen, immer auch auf den Abgrund zu eines sozialen Nirgendwo's in der die Straße selbst zu einem elliptischen Raum des Ewigen sich transzendiert. Obgleich durchaus anders lautender Motive, hat die Straße kein Alter, sie hat jedoch eine alterslose Jugendlichkeit eines rebellischen fuck u all - Gestus, kein Road Movie ohne das Bild des Outlaws oder Drop-Outs...
Das Unterwegs-Sein an sich ist schon der Gestus der Entunterwerfung, entzieht es sich doch allem was normalisierte Biographieentwürfe vorsehen. Die Gesellschaft ist offener, diverser, liberaler. Die Selbstvermarktungsmaschine Instagram vermittelt den Eindruck, dass alle nur noch unterwegs sind. #Vanlife, #Hikerlife #draußenzuhause #traillife, on the road, zu Fuss auf irgendwelchen Fernwanderwegen. Sind wir nicht. Es ist eine prefekte Illusion, der wenigen Priviligierten eines solchen Lebens. Eine Gesellschaft kann sie als Lackmus-Test ihrer eigenen Liberalität in Anschlag bringen, so lange sie ihr Leben entweder kommodifizieren und nicht ihren Mehrwert an Leben aus den sozialen Sicherungsystemen beziehen - eine gängiges Vorurteil, derjenigen, die sich den Entwürdigungen bundesdeutschen Sozialinstitutionen bisher nicht unterwerfen mussten -  oder aber sich später wieder in den gesellschaftlichen Normalvollzug reintegrieren. Irgendwann verwächst sich das. Niemand geht davon aus, dass es das nicht tut. Und wenn doch, wird es laut totgeschwiegen, in dem es in reißerische Verdummungsformate RTL2'scher Manier gegossen wird oder im bildungsbürgerlicher Konterpart a la arte goutiert werden kann. Das othering ist perfekt. Hiker Trash als Zuschreibung galore! 
Ich bin auf meinen Thru-Hike (hashtag E1E5) viele, viele Kilometer Straße gelaufen. Asphaltierte Forst- und landwirtschaftliche Wirtschaftswege, Kreisstraßen, Bundesstraßen. Manchmal direkt nach dem Aufstehen, manchmal im goldenen Licht der tiefen Abendsonne, mal in der flirrenden Mittagshitze, mal im Nieselregen unter bleischwerem Nachmittagshimmel. Die Straße war der Tod meiner Sehnen, Knöchel und Bänder, prototypische Ödnis des Anti-Trails und zugleich immer auch Sehsuchtsort und Projektionsfläche. In den Momenten tauchte immer das Bild des Road Movies im Kopf auf - ein innere Film spulte sich ab, intuitiv durchsetzt mit einem popkulturellen Bildarchiv, gemixt und gemastert mit den Bildern eines eigenen Erlebens und Erfahrungswissen, der Soundtrack lief im gecutten Loop.
Erst im nachhinein habe ich mich gefragt, ob die von mir gewählten und fotographierten Bildmotive unbewußt ein, mein spezifisch interpretiertes und nicht zu letzt in Deutschland bzw. Mitteleuropa vorzufindendes, Bild des Road Movies reproduzieren. Oder anders: Was war zuerst, das Bild das ich mache und als Road Movie interpretiere oder die Romantik der Road Movie Ikonographie, die mich just jene Motive auswählen lässt? Henne, Ei - Egal. Der Road Movie ist mir historisch vorgängig und aus den Bildkompendien des popkulturell überfrachteten gesellschaftlichen Unbewußten, des kollektiven Unbewußten nicht wegzudenken. Die Frage stellt sich nicht. Ich habe auf bundesdeutschen Kreis- und Landstraßen meinen persönlichen Traum von Weite und Freiheit, von Gegenentwurf und Flucht realisiert. Set. Go.
So langsam macht alles Sinn, right? Ein Thru-Hike ist ein Road Movie. Dein ganz persönlicher Road Movie. Ein one-take shot. 2600km lang.
Es ist ein Gegenentwurf zu bürgerlichen Vorstellungen und weil mir der rebellische Gestus einer ewigen Aduleszenz, dem immer auch ein latenter Manichäismus innewohnt, mit beinah vierzig zwar immer noch sympathisch ist, aber mir dennoch immer fremder wird, so stellt es doch, wie ich allerspätestens im Ankommen feststellen musste, die alltäglichen Abläufe der eigenen Normalität so nachhaltig auf den Kopf, als dass es nicht anders beschrieben werden kann, als Gegenentwurf und Ausbruch, wenn denn schon nicht aus der Gesellschaft, so doch zumindest aus dem eigenen Lebensentwürfen. Der ewige Jungbrunnen eines alterslosen fuck u all oder i don't give a fuck des immer wieder Aussteigens aus dem eigenen Leben, als Rebellion gegen die Gesamtscheiße ist tranzendentaler Dauerloop - ein Hauch von Ewigkeit mit jedem Dropout. In der Dauerschleife des immer täglich gleichen, Kilometer für Kilometer über Wochen, Monate. Eine ewigen Spur, einem Track des scheinbar ewigen Laufens, eines ewigen Abspulen- Laufen, Essen, Schlafen und wieder von vorn und weiter. In dem repetetiven nivelliert sich die Wahrnehmung von Zeit und Raum und dehnt sich in eine gefühlte Unendlichkeit. In diesem scheinbar unendlichen Raum, in dieser schieren Weite einer körperlich nur schwer zu ermessenden Anzahl an Kilometern 2000, 3000, 5000 spult sich ein Immer-Weiter quasi als Naturnotwendigkeit ab. Immer weiter bis an die Grenzen des eigenen Körpers, bis die Schuhe kaputt sind, nur noch von Gaffa und Dreck zusammenghalten, die Bänder ausgeleiert, die Muskeln krampfen, bis der Raum seine Endlichkeit erfährt, bis zum Horizont, bis auf den nächsten Pass, bis ans Meer, bis es nicht mehr weiter geht ohne über den Abgrund zurasen... Hierin ist der Trail und die Straße des Road Movies sich gleich. Ebenso in einem on trail markierten sozialen Ort mit den eigenen Sitten und Gebrächen, Codizes, einer eigenen Sprache - We are Hiker Trash! Eine geteilte Erfahrung, des Outlawism, ein rotziges Anti-, der Stolz in dem We are Hiker Trash zur Schau getragen wird, ein geteiltes Leiden der blutenden Füsse und im Sturm umgerissenen Zelte und Tarps, ein gemeinsames zelebrieren, des Ankommens an dem neuralgischen Punkt eines jeden Thru-Hike den further most point of irgendwas, dem Ende. Was bleibt ist die einsame Trauer der Rückkehr und des Versuchs der Reintegration in die eigenen und fremdbestimmten Normalitäten des Lebens - sie verbindet ideel. Möglicherweise steckt hierin die Bewährungsprobe des Thru-Hikes, nicht allein in dem Machen und Durchziehen - geschenkt: das ist offensichtlich und in jedem Fall immer beeindruckend - sondern in dem Zurückkehren und der Pflege des häufig von Thru-Hikenden konstatierte Wachstum in und an sich auf dem Trail. An diesem Punkt enden Road Movies - wenn sie nicht mit dem Tod, der Protagonist*innen enden - machen wir uns nichts vor: Auch das passiert. Aber möchte niemand im Abspann des eigenen Films  mit einem R.I.P. versehen stehen.
Die tiefere Schönheit des Road Movie on Trail liegt in dem kontemplativen Moment der nur vermeintlichen Ödnis des Anti-Trails - auf der realen und nicht sinnbildlichen Straße -  können wir zur Ruhe kommen. Die Straße ist in ihrer konreten Verfasstheit, ein Raum des Normierten und Bekannten, des ewig Gleichen. In dem Repetetiven der Straße liegt der Gegenentwurf zum Single Trail, der uns und unsere Synapsen mit ständig neuen Impulsen füttert bis die Endplatten weiß glühen. Die Straße wirkt hier nicht als als Anti-Dot, vielmehr als Ruheraum, als Bewusstwerdungsraum, Ort des Verarbeitens, des Sortierens. Zugleich lässt die Straße unsere Fusssohlen glühen, leiert die Bänder aus. Sie ist Öde, manchmal gefährlich und rücksichtlos. Es ist eine Hass-Liebe. Ich möchte sie auf der Langstrecke nicht missen. 

Die Strasse ist das schwarze Band Zelluoid auf den ich meinen eigenen Roadmovie drehen kann.










++ fin ++

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