[fragment] Landschaften - Biographische Reflexionen und ein Versuchsaufbau
Rolf
Dieter Brinkmann schrieb mal, er würde gerne Gedichte wie Songs
schreiben können, nur leider beherrsche er kein Instrument.
Diesen Movens kenne ich, war und ist noch immer Musik Treibstoff des
Schreibens, gibt der Schreibe, und um in abgeschmackten Bildern zu
bleiben, eine bestimmte Note, einen spezifischen Sound und einen
Drive - dieser ist immer ein rastloser. Im kreativen Prozess ist es
immer die Rastlosigkeit, obgleich ich eher, seit meiner persönlichen
"Entdeckung der Langsamkeit" (Nadolny) , eine spezifische Behäbigkeit
im Denken und Fühlen, als mir ureigenen Charakterzug nennen würde;
diese Rastlosigkeit ist es die zugleich eine innere Zerrissenheit
produziert, die aus jenen offenkundigen Widerspruch entspringt, aus dessen Rissen das Rohe und das Unvollkommene meiner
Sprache quillt; dies jedoch niemals affektiv oder spontan im Sinne
einer Unkontrollierbarkeit. Sie folgt immer einem Rhythmus, hat immer
einen eigenen Drive, ihren eigenen Sound. Ich würde gerne den Drive
und den hämmernden repetitiven Sound von Ginsbergs "The Howl",
das messianische Flehen, die tiefe Verzweiflung und den Schmerz
kaputt gelaufener Füße, die Hiker-Highs auf den Gipfeln im
gleißenden Licht der Abendsonne für mich einfangen können - es in Worte
fassen, die Bilder (-als "Film in Worten"), sie in einen
Rhythmus bekommen, die Lesenden durch die Zeilen jagen lassen,
rastlos, atemlos... bis sie mit rasendem Herzen auf dem Climax
ankommen - ihrem eigenen Bild im Kopf, dem Ruhepunkt, dem Pol um den
alles Glück und alle vergangenen Anstrengungen oszillieren. Dieses
Ankommen, dieses Zurasen auf genau jenen Punkt, an dem alles zu einer
Einheit aus Gesehenem, Daseiendem und innerem Erleben kulminiert, wo
die Grenzen zwischen Innen und Außen aufgehoben scheint, dieses
stelle ich mir immer als einen Breakdown wie bei bestimmten Modern
Hardcore Bands vor (La Dispute zum Beispiel oder Screamo Bands wie
Raein) (aber vielleicht liegt das auch nur daran dass ich gerade
wieder vermehrt Hardcore höre)... oder aber vielleicht aber lese ich Lyrik
oder Prosa nie in dem Takt in dem sie geschrieben wurden; oder
andersherum - mit Charlie Parker betreibe ich Kontemplation und lass
mich mit ihm nicht durch die Weite des imaginierten Raumes treiben,
weil er mich nicht antreibt, aber das ist wahrscheinlich ein
Generationenkonflikt. Nichtsdestotrotz, erstens weil ich
Schwierigkeiten habe im Wust der Möglichkeiten, der Prägungen, der
Bilder und freilich des eigenen Wünschen und Wollen den Kurs zu
halten, sowie die schiere Größe des Anspruchs und der gewählten
Idole und Vorbilder haben mich bisher - allem Narzißmus und
Größenwahn zum Trotz- davon abgehalten mich dieser Aufgabe zu
stellen. Und just jene Ambivalenz: Das Aushalten dieses Widerspruchs,
nicht nur zwischen Anspruch und Wirklichkeit, sondern vor allem, das
Aushalten des Haderns mit sich selbst und dem Produkt, sind Hemmschuh
und Triebfedern zugleich. Es bedarf noch einiger Schreibübungen.
Verpflichtet
fühle ich mich literarisch Kerouacs Spontaner Prosa, dem
Burroughs'schen Diktum nur über, dass zu schreiben, was du wirklich
gesehen hast und der von Reich-Ranicki so benannten "Neuen
Subjektivität", der deutschsprachigen Literatur der 1960er/
70er Jahre, andere wiederum nennen es Pop-Literatur - vielleicht
passt mir das auch besser, weil da noch irgendwie Fauser reinkanonisiert wird.
Um mich nicht in irgendwelchen Mutmaßungen zu versteigen, welches
etwaige Verbindungslinien zwischen all denen sein kann, überlasse
ich dies den Profies aus der Akademia und dem Feuilleton - aber
all dies hat mein Schreiben geprägt. Dieses Schreiben war für mich
immer dadurch gekennzeichnet, dass es eine direkte Verbindung zwischen
äußeren Erleben und innerem Erleben gab und gibt, welches ein
beständiges Wechselspiel zwischen Innen und Außen zum Gegenstand
des Schreibens macht(e) und die Grenzen zwischen jenen beiden Ebenen
metaphorisch hin und wieder verschwammen. Dieses Außen war aber
immer ein mehr oder minder urbanes - kleinstädtisches und später
metropolitanes - es war keines, dass auch nur eine oberflächliche
Natürlichkeit erahnen ließ. Natur, sofern sie vorkam, hielt in ihrer domesizierten Form als Chiffre für den eigenen Kulturpessimismus her, eine fragmentierte, gezähmte Natur in Betonkübeln, eingestreut in den urbanen Raum; oder als spezifische Landschaftsbeschriebung zur Bebilderung der eigenen Depression; sie war aber nie
Gegenstand eigenständiger Betrachtung, geschweige denn, dass das
Wechselspiel zwischen jenen Außen und meinem Innen tiefere Beachtung
gefunden hätten, allerhöchstens kursorisch.
Nun
ist das Dilemma meines Schreibens, dass ich mir meiner eigenen Sprache nicht sicher bin - wobei mich manchmal das dumpfe Gefühl beschleicht, das eben jene Unentschiedenheit mit mir und meinem Schreiben, die Transparenz dessen und das beständige Ringen, nach einen eigenen Sound, mein ureigener Sound ist -; dass ich nun Reiseberichte, als Thru-Hiker schreibe und ich nie in all den Jahren meines Schreibens gelernt habe Natur-Prosa zu verfassen und dass ich meine literarische Helden
(keine Genderung nötig, es waren und sind noch immer ausschließlich
weiße, cis-Männer) immer urban kontextualisiert habe. Ich demnach,
nach einer zugebenen oberflächlichen Recherche, keine
Orientierungspunkte für mich bleiben, wie jene sich Natur
literarisch aneignen. Mir bleibt nur der Sound, der Drive, der
Rhythmus der Jungs. Irgendwo zwischen "We Dance to all the Wrong
songs, and We Enjoy all the Wrong FMoves" (Refused) und "'Ihr
tanzt nicht heftig genug [...], ihr tanzt den Hass nicht heraus. Es
muss weh tun, ehe ihr euren Körper spüren könnt. Haltet euch nicht
so raus. Werdet doch hässlicher, tanzt unbeholfener. Schön werdet
ihr erst, wenn ihr restlos kaputt und atemlos seid" (Peter
Schneider) und darüber hinaus...
Die
Idee zu diesem Text kam mir in einem Anflug von selbstironischer Inszenierung meiner
Selbst, als ich zuerst in den türkischen Barber-Shop im Frankfurter
Bahnhofsviertel meine Bart stutzen ließ, dazu Tee trank und mit
einem transkulturell aufgeklärten Lächeln, den Handel mit
gefälschten Elektronikgeräten beobachtete, um danach in einem
dieser neuen und sehr hippen Gastronomien der Münchener Straße,
mich zwischen den spätgebärenden und dennoch alterslosen Müttern
und ihren Markenkinderwägen zu quetschen und einen veganen
Beetroot-Latte zu trinken und jenem Treiben auf der Straße
zuzusehen, welches mittlerweile unter dem Markenkern der "Vielfalt",
"Bunt" und "Urban" von der Immobilienindustrie
kommodifiziert worden ist. Fernab ab aller Natur manifestierte sich
folgendes Bild...
Snippet
#1
Ich
stelle meine Füße in das eiskalte Wasser des Selker Noors,
betrachte wie mit jedem Schritt meine Füße im braunen Brackwasser
schemenhafter werden. Die Luft ist feucht und leicht salzig. Wind
zerrt an mir, schlägt Wellen gegen meine Beine. Ich spüre den
groben Sand zwischen meinen Fußzehen, den stechenden Schmerz der
Kälte, Wasser, gegen meine Beine gespült, rinnt wieder herunter und
hinterlässt Spuren im Staub der ersten Tage. Der Wind jagt Wolken
über den Himmel, schiebt sie zu weißen Türmen auf, zu bleigrauen
Flächen, reißt sie wieder auseinander, bahnt der Sonne den Weg,
Lichtflecken tanzen auf dem Wasser, werden aufgewühlt vom Noor
verschluckt, verschwinden in Schatten, irrlichtern funkelnd auf
den Wellenkronen. Das dunkle Wasser des Noors kontrastiert den
vertrockneten Schilfgürtel, der von der Sonnen gülden illuminier
in ein widernatürliches Licht getraucht ist. Das Schilf folgt seinem
ganz eigenen Rhythmus des Windes, der sich in der Ferne langsam als
kaum wahrzunehmende Ahnung einer Bewegung zu verlieren scheint. Die
nur vorgeblich stillstehenden säumenden Bäume orchestrieren das
allgegenwärtige Rauschen des Wassers und des Schilfs, mit einem
dumpfen Tosen, das sich flächig über das Wasser ausbreitet...alles
verschwimmt zu einer Melodie. Ich strahle. Ich lache. Ich blicke gen
Himmel, ich sehe meine Füße verschwommen, ich spüre die Nadeln der
Kälte, Gänsehaut aus Glück und Eurphorie rollen in Wellen über
meinen Körper. Ich fühle mich auf dem Trail angekommen. Es ist
eines jener ikonographischen Erlebnisse, die ich zuvor imagiert
haben. Ein Bild für die Ewigkeit.
Snippet
#2
Das
Noor verschwindet im rauschenden Schilfgürtel, ist nur eine Ahnung
aus brackigem Salz, das ich mir von den Lippen lecke, feuchter Luft
und dem dumpfen Glucken des Wassern im Röhricht. Der Wind jagt
Wolken über den Himmel. Die Sonne bricht hindurch, das bleigraue
Noor von Wind, Licht und Schatten wild gezeichnet, bleigrau mit
funkelnden Flächen, die jäh vom Schatten verschluckt werden. Ein
beständiges Rauschen der Bäume, des Schilfs, des Windes liegt in
der Luft, von Möwenkreischen hier und da zerschnitten. Ein
stechender und zugleich zutiefst befriedigender Schmerz der Kälte
durchfährt mich, ich mache einige weitere Schritte bis meine Füße
im morastigen Wasser nur noch schemenhaft zu erkennen sind, ich
bewege meine Fußzehen im groben Sand und leicht brandet das Wasser
gegen meine Beine. In mir breitet sich ein warmes und gleichzeitig
euphorisierend treibendes Gefühl von Glück und einer ruhigen
inneren Zufriedenheit aus. Für solche Momente habe ich meinen
Rucksack gepackt.
aber,
ach so viele Herzen schlagen in meiner Brust...
Burroughs sagte mal im Hinblick auf seine Experimente mit der Cut-Up Technik, einer ihrer Vorteile sei, der schnelle Schnitt erspare, das umständliche prosaische Erklären, wie ein*e Protagonist*in, von A nach B komme; dies qualifiziere Cut-Up als adäquate Prosa für das Raumzeitalter. Ironischerweise ist der Reisebericht vornhemlich ein recht irdisches Produkt - seine wenige instellaren Ausnahmen mal außen vor gelassen - und sein protoypischer Topoi ist just, jene Beschreibung von A nach B - warum also sollte Cut-Up Technik eine durchaus geeignete Prosaform sein? Die Frage ist rhetorisch und hier als schlechtes Stilmittel eingesetzt, es sei mir verziehen, dennoch - und in diesem Punkten würden mir wahrscheinlich viele Thru-Hikenden zustimmen - relativiert sich die Wahrnehmung von Raum und Zeit sowie ihrer Wahrnehmung zunehmend mit der Länge der Wanderung. Bilder, Erfahrungen, Landschaften, Eindrücke, Gedanken, Gefühle überlagern sich; es kommt zu einer eigentümlichen Ungleichzeitigkeit von innerem und äußerem Erleben - die schiere Masse an Eindrücken sedimentiert sich zwangsläufig, den Gesetzen der eigenen Ver- und Bearbeitung des Erlebten, Erfahrenen folgend, mit allen Implikationen, die diese Metapher mit sich bringt. Bob Jessop nannte dies, in einem anderen Kontext, einmal die spezifische und widersprüchliche Dehnung und Komprimierung von Raum und Zeit - er meinte damit die Prozesse der Globalisierung. Noch nie hat sich so etwas vermeidlich Einfaches, wie ein beständiges Abspulen von Kilometern durch Landschaft mit sporadischem Kontakt mit anderen Menschen, als so etwas großes Dargestellt. Und ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich mich übermächtiger Bilder bediene, um etwas wie einen Thru-Hike in relation zu setzen. Faktisch ist das beständige Wühlen in den Sedimenten dieses Thru-Hikes, auf der Suche nach Bildern, Eindrücken, den korreliernden Gefühlen und inneren Bewegungen, welche sich on trail abspielen, welches die Quelle der Textproduktion ist. Eine spezifische Form der Sprunghaftigkeit - oder des Schnittes, des cuts - erscheinen verlockend, den Herausforderungen der Verschriftlichung eines Thru-Hikes zu begegnen, ist die Erinnerung doch eine fragementierte - Bruchkanten in den Sedimenterungen und tektonische Verschiebungen in der Erinnerung. Eine Erfahrung die auch Jürgen Ploog zum Cut-Up bewegt hat - die Verschiebungen und Verwerfungen in der eigenen Raum und Zeit Wahrnehmung als Langstrecken Pilot konnte er nur in schnellen Schnitten literarisch verarbeiten. Im Coca-Cola Hinterland auf random walks als "Cosmonauts of Inner Space" (Pelieu) durch das limbische System - manche Trailabschnitte finden einizig und allein, als inneres Erleben statt, ein bewußtloses Durchschreiten eines Raums, Hikers-High oder ganz wo anders. So scheint eine weitere Ebene auf, welche Cut-Up als Prosa-Form für die Darstellung eines Thru-Hikes interessant macht: Das umständliche Erklären und Springen zwischen innerem und äußeren Erleben wird obsolet, die sprachliche Form transzendiert die Form des Erlebens, in der Innen und Außen temporär aufgehoben scheinen. Es können größere Zeiträume und geographische Räume sprachlich und atmosphärisch erfasst werden und überbrückt werden, im Umkehrschluss können sie bis in die kleinsten Verästelungen seziert werden.
Nur was bleibt ist der Schluss dass der Cut als Produktionsschritt ausbleibt. Weder Scheren, noch Skalpelle zerteilen Bedeutungszusammenhängen um random neue Sinn- und damit Erfahrungszusammenhänge zu generieren. Der Cut als Residuum des Schnitt im Kopf.
Die Teile der Frankturter Sektion der Cut-Up-Brigade um Hayadatulla Hübsch und Didi Pardei haben diesen Ansatz in Anschlag gebracht, der Schnitt ist eine gesitige Operation. Und während Weisser und Pllog noch Texte falteten und Seiten mit Schere und Skalpell traktierten, synthetisierte Fauser, in seiner Cut-Up-Phase, "lange Prosa-Gedichte" aus den opiatgeträkten Grauzonen der menschlichen Existenz nur mit Nadel und Tropfer. Stamboule Blues zwischen Haidhausen und Tophane. Was bleibt ist ein synaptisches Mäandern, das Flickern der Bilder weiß glühender Endplatten am Horizont der eigenen Grenzerfahrungen, ein Abringen von Wörtern aus einer schreienden Sprachlosigkeit heraus. Das gewaltige Wortlose brüllt lautstark seine Hilflosigekeit in sich und den Äther und findet im beständigen Ringen mit nichts geringerem als sich selbst seine Sprache.
Mir erscheint all das als mögliche Quintessenz, die Thru-Hikers Prose von Cut-Up als literatische Gattung lernen kann: Der Schnitt gibt uns die Freiheit uns von der räumlichen und zeitlichen Fixierung des Trails zu lösen. Keine Start-Ziel-Posa mehr. Inneres und äußeres Erleben entkoppeln sich von Raum und Zeit und verschmelzen zu einer kaleidoakopischen Erzählung in einem Netzwerk von Erleben, Erfahrungen, Bildern, Gefühlen. Die Ganze Struktur von Erzählweisen wird fluide und flexibel. Nicht beliebing, sie bleibt gebunden an das erlebte. Nur bleibt sie etwas, was sie in einem starren Kontinuum von Raum und Zeit niemals sein kann, sie bleibt unsere ganz eigene Geschichte.
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