UL. Hiking. Gonzo. ...und schöne Bilder



Laufen - Essen - Schlafen. Die Dreiheit hat etwas kulturell Universelles: Lebenszyklus, Mondzyklus oder als christlicher Partikularismus mit Anspruch auf Weltgeltung, die heilige Dreifaltigkeit. Ob Christine Thürmer, daran gedacht hat, dass sie in der wahlweise mythologischen, spirituellen oder religiösen Ursuppe menschlicher Existenz nach Marktanteilen fischen geht, als sie ihren Bestseller Laufen - Essen - Schlafen nannte - oder war ein sozialpsychologisch und theologisch geschulter Marketingstratgege des Piper Verlages am Werk, der wusste das in Mario Erdmanns Diktum, der "Suche nach der Produktion gesellschaftlichen Unbewussten" nicht im Suchen der abzuschöpfenden Mehrwert liegt, sondern in der Produktion, die mit dem ästhetischen Formalismus der Dreiheit, die ganze unbewusste Schmonzette christlich-abendländischer Prägung ab zu rufen in der Lage ist. Die sehr Irdische Kaufentscheidung eines modernen Abenteuerromans in die metaphysischen Sphären des Sakralen katapultiert – Halleluja! Und die Kassen klingen! Vielleicht ist das so. Vielleicht ist es einfach nur eingängig. Und vielleicht am wahrscheinlichsten bildet es einfach sehr eindrücklich ab, was das Wesen des Fernwandern ist: Laufen - Essen - Schlafen. Wochenlang, Monatelang und das Tag für Tag...

Auch ich würde mich gerne einer Dreiheit bedienen. Einmal als Referenz an Christine Thürmer – einer Frau, die in der Männerdomäne Thru-Hiking 47.000Km gewandert ist (Stand: September 2019), kann nur gehuldigt werden-; als metaphysische Referenz, da Fernwandern nun mal auch eine spirituelle Erfahrung ist und als verkaufspsychologischer Trick. Dabei heraus kam: UL. Hiking. Gonzo. ...und schöne Bilder
Ich gebe zu ein Monster der Ambivalenz. Die sprachliche Dramaturgie gebietet es die "...." als Pause auszubuchstabieren. Gerne hätte ich es geschafft in meiner Titelgebung die Reinheit einer eben solchen Dreiheit wieder zu geben, heraus kam eine intuitive Unentschiedenheiten zwischen dem Göttlichen und dem Irdischen – Christliche Numerologie. Und so bricht das Produkt der Gesellschaftlichen Unbewussten aus mir heraus.

Allerspätestens seit Hape Kerjeling wird in Deutschland Weitwandern mit Pilgern gleichgesetzt. "Ich bin dann mal weg" denken sich dies jedes Jahr 300.000 Menschen und pilgern an der baulichen Trias aus Sakralem, Hotels und Puffs vorbei - "Oh Herr, so führe mich nicht in Versuchung" brach es ob der Dreifaltigkeit aus Beten - Schlafen - Ficken aus mir heraus, als ich mit dem Auto durch die Extremadura fuhr und eine geschlagene Dreiviertelstunde, neben dem Jakobsweg fuhr - auf der Autobahn. Summa summarum, je nach Geschwindigkeit, drei bis vier Pilgertage neben der Autobahn. Dies bedarf schon einiges an Seelenfrieden. Und dies wurde ich auf meiner Wanderung oft gefragt, ob es für meinen Seelenfrieden tue, was ich zu finden glaube oder ganz mutige wagten zu fragen ob ich pilgere. Ich verneinte stets und verwies auf die sehr irdische Lust am laufen. 
Natürlich ist das auch nur die halbe Wahrheit. Natürlich bewegt sich was im Kopf, im Herzen und der Seele. Natürlich ist auch das säkularste Wandern – vor allem auf lange Distanzen - angehalten, in jene metaphysischen Sphären vorzustoßen, in denen wir unglaubliche Ruhe und tiefste Zufriedenheit finden können, gar uns selbst oder wie wir seit Thomas Glavinic wissen, die Person vermögen zu werden, die wir sind. Das ist eine zutiefst spirituelle Erfahrung - irgendwann nur noch sich selbst als Resonanzkörper, der eigenen Schritte auf Waldwegen, dem Blätterrauschen und dem Vogelgezwitscher wahrzunehmen, in dem das aufgenommenen langsam verhallt in einer befriedigenden Stille und Leere eines Selbst, dass nur noch in sich und dem Moment ruht.

Und um diese Spirituelle Erfahrung in seiner Ganzen Vollkommenheit und Reinheit abzubilden, bin ich auf eine Trias zurückgeworfen, die sich hier beinah naturwüchsig als Trinität aufdrängt. Weil nun mal dieses christliche Abendland, seinen eigenen Partikularismus mit dem Export von Unterwerfung, Ausbeutung und Sklaverei universalisiert hat und die verbrannte Erde einer metropolitanen postkolonialen Beliebigkeit hinterlassen hat, die sich alles und jeden aneignet und als warenförmige Ramschware in die Ashrams Castrup-Rauxels und die Chi Gong Praxen Bockeheims kübelt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Ich betreibe nun mal keinen Guru-Import. Provice Europe, eat this!
Ich bin durchtränkt von christlichem Wissen ohne mein zu tun. Katholische Dorfschule in den 1980er Westdeutschland und ein Grundsolides Marx-Studium Frankfurter Provinienz reichen um messianische Erlösungsphantasien auszubilden. Eine religionskritische Vernunftbegabung, dank einer kritischen Erziehung zweier post-68er Eltern und eines Grundsoliden Marx-Studiums Frankfurter Provinienz, verdanke ich jedoch die "..."  und den Anhang "und schöne Bilder". Die Erdung des Himmlischen. 
 
Bei allem Metaphysischem Schmu des Wanderns, es ist sehr irdisch und ich als derjenige der versucht, das synaptische Flickern und Mäandern einer Fernwanderung in Worte zu fassen, versuche dies eben nicht in der Auflösung in einer Metaphysik des Sakralen – keine Erlösung. „Mit den Füssen im Kot nach den Sternen greifen“ sagte Fauser. Das was da ist, das Unmittelbare ist das Wahrhaftige. Damit finden wir den High, den Kick, das Weitermachen mit aufgeplatzten Blasen, mit durchgelatschten Sohlen, mit kaputten Knien auf Vitamin I, damit stehen wir jeden Morgen auf klatschnass und durchgefroren und machen weiter, weiter auf den nächsten Pass, weiter auf den nächsten Kilometern roadwalks, weiter auf den Wanderautobahnen deutscher Mittelgebirge, weiter auf den verregneten Pässen des Passubio, weiter über die Schneefelder am Madatschjoch, weiter bis es nicht mehr geht, bis die Muskeln versagen, die Nacht sich über die Heide legt, weiter bis hikers midnight und wir in den tiefen Schlaf der Gerechten fallen – wenn uns die Moskitos lassen. Vier ist in der christlichen Numerologie eben seines Mittelalters, die Zahl des Irdischen. Drei die des Himmlischen.
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Ich chargieren zwischen den Welten. Zwischen Hikers High auf dem Monte Maggio zwischen zerfetzen Wolken, erhabenen Adlerschwingen über meinem Kopf und kaputt gelaufenen Sehnen in der Forstpisten-Ödnis der Südheide. Zwischen Zivilisationspanik inmitten neonverstrahlter jingle-bedudelter überquellender Supermarktregale und tiefer Ehrfurcht ob der majestätischen Monstrosität der Alpen. Irgendwo in den metaphysischen Untiefen eines Urzustandes, der sich einstellt wenn man aufhört sich zu waschen, seine Kack-Löcher selber buddel und in Wäldern schläft, wenn der Sound des Tages vom Takt des Waldes und der Wiesen vorgegeben wird im an- und abschwellenden Rhythmus von Dunkelheit und Helligkeit. Erscheint als ¾ Takt die Einheit aus Himmlischen und Irdischen durch. Irgendwo hier finde ich die zarte Pflanze meiner fragilen Existenz, die beschämt wird ob meines ach so westlichen Geltungsdrang nach Unterwerfung, Größe und Beherrschbarkeit, weil sie mir verdeutlicht, was ich wirklich bin: Nicht viel mehr als ich.
Hiking putting the thing's at it's place. Jedes mal auf's Neue. Es ist eine ganz und gar existenzielle Erfahrung, vor der schieren Größe des zu begreifenden zu kapitulieren - vor dem abendlichen glühenden Alpenpanorama genauso, wie vor der fragilen Komplexität eines Hornissennestes in der Schutzhütte am Wegesrand. Ich habe es aufgegeben es zu durchdringen, ich kann es nur genießen wenn meine Synapsen mit Endorphinen umspült werden und der wohlige Schauer der Glücksseeligkeit meinen Körper auf und ab rast. Es ist ein Problem meiner – nicht zuletzt auch westlichen und männlichen – Existenz, das Paradigma des Verstehen-Wollens beziehungsweise -Müssens abzulegen, obgleich ich in den heimlichen Lehrplänen der europäischen Moderne nichts anderes gelernt habe. Aneignung durch Verstehen. Denken und Fühlen in Binaritäten und Biases. UL. Hiking. Gonzo. ...und schöne Bilder verweist somit auch auf ein tieferes Dilemma, das Grandiose, Großartige des erfahrenen zu begreifen, es zu beschreiben ohne in sakraler Rhetorik zu schwelgen. - Aber daran sind durchaus auch schon ganze andere gescheitert.

Ich habe einen Auftrag: Gute Stories liefern. Das ist nichts metaphysisches. Es ist, dass gesehene und erlebte in Worte fassen. Wenn diese Worte unterhalten, dann habe ich schon ein Ziel erreicht. Wenn ich mit diesen Worten Menschen erreiche - dann sollte ich vorher, dass Medium wechseln: Fragte doch das bekannte Trend- und Lifstyle-Magazin "Chip" unlängst "Wer bloggt eigentlich noch?" Wenigstens eine Sache, die eindeutig beantwortet werden kann: Ich.  

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