Coronahikes und die Abwege des Pilgerns
Und
endlich nach vier Wochen ward es soweit, das ganze Elend der
Coronapandemie umfing mich gänzlich in einer unendlichen
Abgefucktheit: Home Office für Privilegierte, versorgt durch das
moderne Lumpenproletariat Liferandos, Hermes' und Amazons; das
Amusement liefern prekäre Kulturschaffende via Instakonzert –
Hastag StayAtHome. So lässt sich das aushalten. Die Kinder dürfen
das zugehörige Klassenbewusstsein mit Fingerfarbe als Regenbogen an
die Fenster malen, die ab und an geöffnet werden dürfen, um den
neuentdeckten, alten und immerschon da gewesenen Heldinnen der Gesellschaft pflichtschuldig zu
applaudieren – kostet ja nix. Bereitwillig werden nicht nur
Grundrechte aufgegeben und jede Person, die das kritikabel findet
wird mit dem neuen grundrechtsfreien Rechtsverständis mit
überbordenden Gewaltfantasien überhäuft, mindestens aber mit Häme
und Unverständnis. Nestbeschutzer hieß das mal. Wir sind auch keine Subjekte mehr, sondern Risikogruppen, Erkrankte, Genesene und
all jene potentiellen Virenschleudern, die die symptomfreien Gesunden
sind. Eine Schicksalsgemeinschaft, die allabendlich auf Lagebilder stiert,
Graphen und Zahlen, Bodycounts, und den neuesten Dynamiken der dynamischen Lage. Wie Ludger Heid schon wusste: Haben die Deutschen die Wahl zwischen Freiheit und Einheit, habe sie sich historisch immer für die Einheit entschieden - Grundrechteverweigerer, autoritäre Charaktäre und lethargische Oporturnisten. Zu allem Überfluss bevölkert, der nun mehr lethargische Teil, apolitisch sportiv meine Joggingstrecken, noch nie in ihrem Leben gejogged, aber jetzt – das Grundgesetz ist nun Mal kein Fatburner und Haltung keine Bikinfigur. Ich darf nicht mal mehr selber
entscheiden ob ich mit oder ohne Einkaufswagen in den Supermarkt
darf, dabei ist das sicherlich irgendwo auch in den ersten 20
Artikeln der Verfassung geregelt... Aber mal im Ernst: Qua
Verordnung ist meine Gewerbefreiheit weg und ich somit einkommenslos.
In meinem Homeoffice, dass ich nicht habe, weil es nix zu arbeiten
gibt, kann ich meinen Kontostand dabei zusehen, wie er sich langsam
aber stetig von Schwarz nach Rot bewegt. Aber ich habe ja auch noch
Freizügigkeitsrechte – recht großzügige hessischer Provenienz –
immerhin darf ich raus und selber bestimmen wo ich hin möchte –
sofern ich mich an die Empfehlungen und Verordnungen des Bundes, des
Landes und gegebenenfalls der jeweiligen Kommunen halte... lange Rede
kurzer Sinn, Langstreckenwandern ist Verordnungskonform. Und ich muss
einfach raus! Unter Einhaltung aller gebotenen Vorsichtsmaßnahmen
und -regelungen. Das geht schon. Das GG ist nun mal kein Mundschutz
und als Taschentuch eher ungüstig. Demokratie bekommt kein Corona,
sterben kann sie trotzdem. Ich niese heuschnupfenbedingt
staatstragend und solidarisch in meine Armbeugen und wische dann den
Schnodder mir der anderen Hand von meiner Daunenjacke... hach ja, das
klappt ja alles super*.
Und
da gerade Ostern war, flog mich die Idee des Pilgerns an. Einfacher
Pragmatismus. Bis auf den E1 führt kein säkularer Weg aus Frankfurt
raus. Also der Bonifatiusweg. Seine ultraleichten Gebeine wurden
Mitte des 8 Jahrhunderts von Mainz nach Fulda überführt und der
Bonifatiusweg verläuft folgerichtig auf der historischen
Prozessionsroute. Dabei durchquert er das nördliche Frankfurter
Stadtgebiet. Ab da durch die Wetterau und den Vogelsberg gen Fulda.
130 Kilometer und ein paar Höhenmeter. Zurück über den
europäischen Fernwanderweg E3 über Butzbach und den Taunushauptkamm
und von da aus entweder auf den E1 zurück nach Frankfurt – oder
aber vielleicht doch in die U-Bahn. So oder so 140 Kilometer.
Insgesamt 270 reine Trailkilometer plus erwanderte Anreise (5 für
den Hinweg, für den Rückweg können durchaus 20 verbucht werden).
Wer
nun eine epischen Reisebericht erwartet, sei enttäuscht. Es war
nicht episch. Der Bonifatiusweg hat mir die Entbehrungen visueller
Askese und die vornehmlichen Asphaltwege geißelten meine Sehne –
bzw. sie verlockten mit der süßen Sünde des Hochmut, der mich
Tempo machen ließ, die sanften geschwungenen Hügel, die wenigen
Höhenmeter und die nicht vorhandenen steilen Anstiege bremsten mich
nicht aus; so saß ich nach 3 Tagen und 110 Kilometern im wirklich
schönen Tal der Schwarza, hielt meine dreckigen und dampfenden Füße
in das eiskalte Wasser und bestaunte ein ziemlich schmerzhaftes
dickes Ei an meinem linken unteren Schienbein, was bei jedem Anziehen
des Spanns weh tat.
Hah,
Hochmut! Ist die Trägheit nicht auch eine von diesen Todsünden?
Immerhin habe ich David Fincher's „Se7en“ geschaut. Aber mal ganz
vernünftig. Erstmal Kühlen, morgen weiter schauen, vielleicht 'ne
Ibu für die Nacht. Aber vorher noch einmal schauen wie es morgen
eigentlich weitergeht.
Die
ersten 110 Kilometer haben mich nicht überzeugt: Es ging miest aspahltiert und sehr gearde durch die
postglaziale Hügellandschaft der Wetterau, ein intensiv
landwirtschaftlich genutzter Patchwork aus Streuobstwiesen, Äckern,
Felder, Futtermittelwiesen, Weiden, einigen Wäldern und – ach,
noch ein ein paar Auen, die naturräumlich soweit von Bedeutung sind,
als dass sie durch die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie
92/43/EWG geschützt und organisiert sind. Den aufmerksamen
Naturfreund*innen sind sie durch diese Infotafeln auf den „Natura
2000“ steht, bekannt unten rechts ein kleines blaues Fähnchen mit
vielen gelben Sternen drauf. Ich bin ornithologisch weder bewandert
noch begeistert, so ist es natürlich äußerst majestätisch einen
Storch im Landanflug auf seine Futterwiese zu sehen, ich gerate aber
deswegen auch nicht in Verzückung. Den optischen Entbehrungen
entsprach so denn auch ein stark nach innen gerichteter Blick der
ungestüm durch die Welt seiner Gedanken, Bilder, Tagträume,
Snippets, Ausschnitten, Fetzen, Trailer stolperte, mäanderte, trieb,
hetzte, rannte... immerhin die erste Tour seit der Rheinsteig
-Section im November alleine. Irgendwo im wirklich allerletzten
Vorort Frankfurts (Nieder-Erlenbach) kam mir das Bild, wie die
Kaffeedose, die ich mit einem damaligen besten Freund mit
Feuerwerkskörpern vollstopfte und dann einen anzündeten um zu
schauen was passierte... ein dumpfer Knall, die Dose machte einen
Satz, mehr auch nicht... ungefähr das war in meinem Kopf los. Ein
Feuerwerk, das implodiert.
Somit
haben mich vielleicht die Bonifatiuskilometer auch nicht überzeugt
weil ich sie gar nicht gesehen habe... es wird eines der Mysterien
des Trails bleiben.
Nichtsdestotrotz
blieb so noch zu klären wie es denn nun morgen gen Fulda weiter
geht. Ich habe im Vorfeld meine Vorbereitung auf GPXies runterladen
und Rucksack packen beschränkt – den Rest sollten Glück,
Zuversicht, Improvisationstalent und die Zivilisationsnähe schon
erledigen. Also staunte ich nicht schlecht, als mir die GPXies sagten
ab Blankenau sind E3 und Bonifatiusroute identisch. Ah, was?! Aha!
Vorbereitung ist alles. Okay, habe ich noch was über das ich
schlafen muss. Immerhin reden wir hier von 40 Kilometern. Aber, zuvor
gilt das ich mich der Schlafplatzsuche widme. Das weite Tal der
Schwarza ist schön, aber eine kalte Senke, in der ich morgen mein
Setup kondenstriefend und mich verfroren bergen kann, dass will ich
nicht. Die tiefgreifende topologische Erkenntnis des Tages ist, wo
Talsohle, da auch Berghänge, und egal wie sanft geschwungen die kaum
wahrnehmbaren Höhenlinien auf der Karte auch scheinen, sie sind
hinreichend um nur Schlafplätze in Schieflage zu generieren.
Ächzend
mache ich mich die eine Hügelflanke hoch in der Hoffnung oben etwas
flacheres, gerades zu finden. Nein, nicht wirklich, aber ich stolpere
über den E3. Na, zumindest das hätte ich geklärt. Hier finde ich
auch was leidlich gerades, das mit etwas Laub noch etwas besser ist
und mich ignorieren lässt, dass es direkt auf dem Präsentierteller
neben den Trail ist.
Geläutert
und begebe ich mich auf den säkularen E3 und stelle ernüchtert
fest: ist auch ein Camino. Als
ich jedoch vor dem ersten "richtigen" Trailmarkierung" stehe mit den magischen Worten
„Atlantik-Ardennen-Böhmerwald“ klingen sie wie Thru-Hikers
heilige Dreifaltigkeit. Atlantik! Ardennen! Böhmerwald! Amen! An
meinem geistigen Firmament irrlichtern Götterstrahlen: mindestens
2500 Kilometer. Ich gehe vor meinen innere Auge meine
Lighterpack-Tabelle durch. Nicke zufrieden. Damit komme ich bis an
den Atlantik. Der Schlafsack ist zu warm, aber ansonsten... einen
Nagelclipser in der nächsten Drogerie. Ein warmes Kribbeln wallt
durch meinen Körper. Hallo Trail, hier bin ich, dein verlorener
Sohn! Ja, ich gebe es zu i
am hooked.
Dieses Thru Hiking, als synonym für Fernwandern, ist ein
Sehnsuchtsort und wer einmal weite Strecken auf einem dieser Wege
zurückgelegt hat, wird es auch als ein inneres Erweckungserlebnis
wahrnehmen, die Klaviatur aus Lust, Passion und Leidensbereitschaft
mit der ich mich ohne Not sofort wieder solch einem Trail
überanworten werde, wird beim Anblick solcher Trailmarkierungen
immer wieder auf's Neue rauf und runter gespielt, ein Overtüre der Sinnlichkeit – vor allem wenn
ich einen gepackten Rucksack auf dem Rücken habe. Meine Innere
Playlist lässt noch einmal die Ohrwürmer des Trails bisher durch
den Kopf paradieren. Die Bässe sind Fett, die Sonne scheint und es
sind keine Asphaltwege. Halleluja!
Zunächst
über Felder und Äcker in einen schier nicht enden wollenden
Buchenwald. Kathedralenartig ragen die Stämme in die lichtgrünen
Kuppeln des Blattwerks. Ich laufe mich in Trance – Hikers High –
und vernehme nur noch das Hallen meiner Schritte und das Klackern
meiner Trekkingstöcke in der unendlich wohltuenden Leere meines
Kopfes. Felder, Ortschaft. Felder - da war was - ich kann mir nur
schemenhaft erinnern. Grell leuchtend gelber Raps, frisch gepflügte
braune Äcker, das satte Grün der Weizenfelder, weiß und rosa
blühende Streuobstwiesen mal mit Löwenzahn, mal mit den ersten
Gänseblümchen gesprenkelt, Wegränder von weißen Wänden aus
Weißdorn gesäumt, alles kontrastiert von einem klaren blau
strahlenden Himmel. Und wieder unendlicher Wald. Zwischendrin etwas
zerpflückt, mit lichten Stellen, viel Wasser, hat etwas sumpfiges.
Ich assoziiere Skandinavien, erinnert mich aber auch an einzelne
Abschnitte des Soonwaldsteiges. Für einen kurzen Moment kommt mir
alles etwas wilder vor. Von einem älteren Ehepaar auf ihren E-Bikes
werde ich aus meinen Wildnis-Phantasien jäh gerissen. Ist der
Vogelsberg. Nicht mehr und nicht weniger. Ich laufe am Hoherodskopf
abermalig vorbei, überlege kurz ob ich den Umweg für seine
Erklimmung in Kauf nehmen soll, entscheide mich dagegen, die Liste
meiner 700er ist schon reichlich bestückt – und schöner als der
Altkönig kann er eh nicht sein.
Unterhalb
des Bilstein verspricht mir eine Informationstafel, das sich bei der
Ersteigung des Berges ob der steilen Anstiege „alpine Gefühle
regen können“ - ja, da wallte so einiges als ich über ein paar
Wurzelpfade so in etwa 100 Hm gewältigte und ein paar Schweißtropfen
standen mir auch auf der Stirn und außer Atem war ich auch –
etwas. Der Blick vom Bilstein, ein alter Vulkanschlot, ist war
einfach unbeschreiblich schön. Die Wetterau verschwand im Dunst des
Tages und der Taunus war vielleicht nur zu erahnen, aber wer braucht
das schon, wenn auch so schon schön ist?
So
lief ich beschwingt weiter gen Niddatalsperre. Dort fand ich oberhalb
des künstlichen Gewässers einen wirklich wunderschönen
Schlafplatz, der auf der Karte mir zumindest einen Blick auf den See
versprach, in der Realität hielt das Versprechen nicht. Naja, dafür
könnte ich rätseln wo in der langgezogenen vor mir liegenden
Talsohle der See nun genau sein könnte. Um ehrlich zu sein, ich
verlor sehr schnell, das Interesse an dem Spiel und wendete mich den
Profanitäten des Essens zu, ferner ging ich in eine vertieftes
Gespräch mit meiner Sehne – die protestierte auf den letzten
Metern lautstark und ich rang ihr das Versprechen nach Ruhe und
Kühlung ab, wenn sie mit mir noch gemeinsam einen Pennplatz finden
würde. Die gefundene Ruhe ließ sie ihrerseits nun vorlaut werden
und mehr fordern. Soweit so gut horchte ich in sie hinein und konnte
sie noch davon überzeugen eine Nacht drüber zu schlafen, dann
könnte wir ja gemeinsam entscheiden wie es weitergehen kann... Gute
Nacht.
Am
nächsten Morgen sammelte ich eine Zecke von meinem Schlafsack, die
sich gerade mühselig auf den Weg zu den Futtertrögen gemacht hatte
– back luck, ich war schneller. Meine Sehne begrüßte mich mein
einem verknautschen „Ja, geht schon... Übertreib's aber nicht“,
ich versprach ihr dafür, dass schon in Butzbach Feierabend sei. 40
Kilometer kriegt sie geschenkt, dafür soll sich mich noch 40
Kilometer tragen. Wir hatten einen Deal. Ob das alles aus
medizinischer Sicht megavernünftig ist, dass möchte ich hier nicht
diskutieren – ist es nicht.
Am
frühen Morgen strahlte der See in einem schön diffusen Licht. Die
nächsten 20 Kilometer bis Hungen verschwand ich in einem großen
Wald und einer nebulösen Innenwelt aus Schmerzbeobachtung, innerer
Leere, wirren Einzelfetzen an Gedanken, die durch meine Synapsen
flirrten und sich nie einfangen, geschweige denn zu Ende denken
ließen, sowie vielen Ohrwürmern, ein Best- Of Medley der letzten
Tage. Hier und da ist eine Wiese. Ich lege mich drauf und gucke in
den Himmel oder in die Wiese. Beobachte eine Zecke dabei, wie sie
unter dem durchsichtigen Polycro Groundsheet nach mir sucht, Spinnen
integrieren mich in ihren Netzbau. Es ist still. Leichtes
Blätterrauschen vielleicht.
In
Hungen falle ich in den örtlichen Discounter: Ich versuche mich zu
zügeln und am Ende ist es doch erstaunlich viel. Wie immer. Noch auf
dem Parkplatz schiebe ich dann doch alles in mich hinein. Wie immer.
Hiker Hunger ist und bleibt ein schier unergründliches
physiognomisches Phänomen.
Nach
Hungen verläuft der Trail vornehmlich durch Äcker und Felder und
ein paar Waldinseln. Kartencheck. Wo penn' ich da? Es gibt ein paar
dunkelgrüne Flecken. Mal schauen.
Der
Nachmittag präsentiert sich noch einmal von seiner Sonnenseite, war
der ganze Tag bis dato eher kaltschwül, ist es nun heißschwül. Es
drückt. Und kaum sind die Wolken weg brennt die Sonne
erbarmungslos... zumindest fühlt es sich so an, als ich Bellersheim
betrete. Ich zapfe Wasser am Friedhof. Erfreue mich an den 2 Kilo
mehr auf den Schultern und laufe weiter gen Münzberg. Ungefähr hier
will ich mir meinen Schlafplatz suchen. Der Himmel schiebt sich
bleigrau zusammen, bricht auf und Götterstrahlen zerschneiden episch
den Himmel, grundiert von dunklen Äckern, flankiert von gelben
Rapsfeldern. Die Strahlen treffen auch noch wirklich die Münzburg. Zuviel Kitsch. Ich muss lachen. Und ergreift mich.
Es
wirklich episch aussieht. Fotos. Und als ich den Ort erreiche fängt
es an zu regnen. Naja, fast. Ich habe das erste Haus passiert und es
regnet richtig. Und als ich den ersten Unterstand erreiche, bin ich
nass und es hört in dem Moment auf als ich mich auf die Treppen
eines geschlossenen Hotels setzte. Tja. Ich esse noch mein Abendessen
dort auf den Stufen. Lasse mich durch Körperwärme und Luftzug
trocknen und breche dann auf Richtung den letzten dunkelgrünen Fleck
auf meiner Karte zwischen hier und Butzbach. Dies soll das letzte
Stückchen Wald sein in dem ich mein Tarp aufstellen möchte.
Ich
trotte gemächlich los und eruiere, das Grün in der Landschaft und
das Grün auf der Karte. Es ist ziemlich kongruent. Nur, das Grün in
der Landschaft ist ziemlich licht und es ist eingezäunt. Und weil
ich abermals nicht wirklich auf die Höhenlinien geachtet habe, es
ist ehrlich gesagt auch viel zu steil für ein Nachtlager. Naja, es
gibt noch ein Fitzelchen, das ist etwas dunkelgrüner und nur 500
Meter weiter. Ah ja, ein klassisches Feldgehölz. Die Böschung mit
Weißdorn und/oder Brombeer und diversem anderen dichten Buschwerk
bewehrt macht es bereits den Einstieg zu einem Abenteuer, die
Ungewissheit ob Vegetation oder Bodenbeschaffenheit überhaupt ein
Biwak ermöglichen geben dem Ganzen seinen ganz eigenen Kick. An
einer Stelle an der eben kein Schild steht, dass Grünabfälle nicht
abzulagern seinen, schlage ich mich in die Presche, die der Müll
geschlagen hat. Komme nur drei Schritte weit und bleibe im dichten
Geäst hängen, erahne aber auf der anderen Seite eine Möglichkeit.
Also raus aus dem Gehölz. Umlaufen und hoffen, dass es einen
Einstieg gibt. Gibt es. Und es ist beinah ein Traum. Groß genug für
ein Tarp. Der Boden mit Weizenspelz bedeckt. (trocken, frisch,
staubig und voller Spinnen). Ich schiebe mir den Spelz so zurecht,
dass die Unebenheiten ausgeglichen sind und es relativ deckungsgleich
mit meinem Groundsheet ist. Es fängt an zu jucken. Ist jetzt so. Ich
bin darauf nicht allergisch. Und wenn dann bin ich es erst nach
dieser Nacht bzw. nach dieser weiß ich es (ich habe aber auch schon
einmal eine Nacht in einem Heuhotel gemacht und mein Rücken war das
größere Problem am Morgen).
Pünktlich
zum Aufschlagen des Tarps fängt es an zu regnen und der Wind zerrt
an meinen Aufbaunerven und an meinem Gatewood. Ich richte mich
häuslich mit meinen vielen Mitwohnerinnen ein – die aber schon WG
erprobt, verstehen, dass Schlafende in ruhe gelassen werden. Also
kein Stress.
Bis
auf das eine Exemplar, dass sich todesmutig in meine Schuhe
verkrochen hat – für alle die nicht wissen was das bedetet, einmal
zum ausbuchstabieren: In einen Schuh der ca. 1000 Kilometer Hiking
und gerade den frischen Mief von knappen 200 Kilometern in sich hat,
ein olfaktorisches Highlight. Aber wahrscheinlich riechen Spinnen
nicht. Das diese eine sich meinen Schuh ausgesucht hatte, wurde mir
aber auch erst gewahr, als ich nachts barfuß in ebendiesen schlüpfte
um meinem obligatorischen Toilettengang nachzugehen.
Ich
bin nicht arachnophob, aaaaber, das Gefühl etwas, von dem du ahnst,
das es sowas wie eine Spinne ist, panisch auf deinem Spann auf und ab
rennt; du aber, ob des Harndrangs, dich zuerst diesem Problem widmen
musst und das Tier über deinen Fuss laufen lassen zu müssen, hat
für mich den Begriff des „Dinge aushalten müssen“ noch einmal
neudefiniert. Zudem es mit dem Schuhe ausziehen an sich
wahrscheinlich nicht getan wäre, immerhin fühlte sie sich so groß
an, dass ich am nächsten morgen noch den restlichen Spinnenmatsch
aus dem Schuh puhlen müsste, wie groß dieser sein würde, würde
von der Menge an meinem Fuß abhängen – und der wirklichen Größe
des Tieres. Aber ich wollte einfach nur das das Krabbeln aufhört,
zog schnell, nach verrichtetem Geschäft meinem Schuh aus und da sah
ich es. Recht kompakt, immerhin daumennagel groß und quicklebendig,
hangelte es sich über den Spann schnell auf die Lasche. Altra
Running Lone Peak 4.0. Embrace the Space. Save the Spider.
Da
ich den Rückzugsort der Vögel in der Monokultur gestört habe, habe
sie mir zum Dank mein Tarp voll gekackt. Zurecht. Ich packe ein und
trolle mich meine letzten acht Kilometer nach Butzbach und lasse den
Vögeln ihr letztes Refugium, dass Mensch ihnen gelassen hat. Ich
habe mich gestern zum Döner-Frühstück mit Dennis a.k.a. onwards hiking (insta)
verabredet, der ist grade auf dem E3 gen Osten, immer der Sonnen
entgegen, Weltumwanderung. Noch einmal zum Mitschreiben: W-E-L-T-U-M-W-A-N-D-E-R-U-N-G. Wir werden über zwei Stunden auf einer
Bank vor dem Bahnhof über alles und nichts, über das Allgemeine und
das Besondere, über Baseweight-“Penislängen“, fehlende
Trailkultur in Deutschland, Coronahikes, die Unterschiede zwischen
Pilgern und Thruhiking reden, und dann doch keinen Döner frühstücken
– als wir uns verabschieden und ich vor allem am Abend seinen
Instapost lese, habe ich das Gefühl, dass dieser Moment einen ganz besonderen Platz in meinem Herz bekommen wird.
*So lakonisch und flappsig ich über die Einschräkung der Grundrecht qua Verordnungen ironisiere, möchte ich hier vor allem etwas Politisches klarstellen: in diesem Sumpf blubbern grade Verschwörungsideolog*innen, selbst ernannte Wunderheiler*innen, Nazis, querfrontlerische Impfgegner*innen, New Age Braun esoterische Kreise, Antisemit*innen, Rassist*innen und Völkische munter Wirres vor sich und mobilisieren hier und da Menschen auf die Straße. Das ist nicht meine Crew. Also bitte nicht missverstehen, ähnliche Formen deuten nicht auf gemeinsame Inhalte und umgekehrt - und weil Nazis kein Hegel lesen, verstehen sie das auch nicht. Dilaketikk Digga!
*So lakonisch und flappsig ich über die Einschräkung der Grundrecht qua Verordnungen ironisiere, möchte ich hier vor allem etwas Politisches klarstellen: in diesem Sumpf blubbern grade Verschwörungsideolog*innen, selbst ernannte Wunderheiler*innen, Nazis, querfrontlerische Impfgegner*innen, New Age Braun esoterische Kreise, Antisemit*innen, Rassist*innen und Völkische munter Wirres vor sich und mobilisieren hier und da Menschen auf die Straße. Das ist nicht meine Crew. Also bitte nicht missverstehen, ähnliche Formen deuten nicht auf gemeinsame Inhalte und umgekehrt - und weil Nazis kein Hegel lesen, verstehen sie das auch nicht. Dilaketikk Digga!
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