Coronahikes und die Abwege des Pilgerns


Und endlich nach vier Wochen ward es soweit, das ganze Elend der Coronapandemie umfing mich gänzlich in einer unendlichen Abgefucktheit: Home Office für Privilegierte, versorgt durch das moderne Lumpenproletariat Liferandos, Hermes' und Amazons; das Amusement liefern prekäre Kulturschaffende via Instakonzert – Hastag StayAtHome. So lässt sich das aushalten. Die Kinder dürfen das zugehörige Klassenbewusstsein mit Fingerfarbe als Regenbogen an die Fenster malen, die ab und an geöffnet werden dürfen, um den neuentdeckten, alten und immerschon da gewesenen Heldinnen der Gesellschaft pflichtschuldig zu applaudieren – kostet ja nix. Bereitwillig werden nicht nur Grundrechte aufgegeben und jede Person, die das kritikabel findet wird mit dem neuen grundrechtsfreien Rechtsverständis mit überbordenden Gewaltfantasien überhäuft, mindestens aber mit Häme und Unverständnis. Nestbeschutzer hieß das mal. Wir sind auch keine Subjekte mehr, sondern Risikogruppen, Erkrankte, Genesene und all jene potentiellen Virenschleudern, die die symptomfreien Gesunden sind. Eine Schicksalsgemeinschaft, die allabendlich auf Lagebilder stiert, Graphen und Zahlen, Bodycounts, und den neuesten Dynamiken der dynamischen Lage. Wie Ludger Heid schon wusste: Haben die Deutschen die Wahl zwischen Freiheit und Einheit, habe sie sich historisch immer für die Einheit entschieden - Grundrechteverweigerer, autoritäre Charaktäre und lethargische Oporturnisten. Zu allem Überfluss bevölkert, der nun mehr lethargische Teil,  apolitisch sportiv meine Joggingstrecken, noch nie in ihrem Leben gejogged, aber jetzt – das Grundgesetz ist nun Mal kein Fatburner und Haltung keine Bikinfigur. Ich darf nicht mal mehr selber entscheiden ob ich mit oder ohne Einkaufswagen in den Supermarkt darf, dabei ist das sicherlich irgendwo auch in den ersten 20 Artikeln der Verfassung geregelt... Aber mal im Ernst: Qua Verordnung ist meine Gewerbefreiheit weg und ich somit einkommenslos. In meinem Homeoffice, dass ich nicht habe, weil es nix zu arbeiten gibt, kann ich meinen Kontostand dabei zusehen, wie er sich langsam aber stetig von Schwarz nach Rot bewegt. Aber ich habe ja auch noch Freizügigkeitsrechte – recht großzügige hessischer Provenienz – immerhin darf ich raus und selber bestimmen wo ich hin möchte – sofern ich mich an die Empfehlungen und Verordnungen des Bundes, des Landes und gegebenenfalls der jeweiligen Kommunen halte... lange Rede kurzer Sinn, Langstreckenwandern ist Verordnungskonform. Und ich muss einfach raus! Unter Einhaltung aller gebotenen Vorsichtsmaßnahmen und -regelungen. Das geht schon. Das GG ist nun mal kein Mundschutz und als Taschentuch eher ungüstig. Demokratie bekommt kein Corona, sterben kann sie trotzdem. Ich niese heuschnupfenbedingt staatstragend und solidarisch in meine Armbeugen und wische dann den Schnodder mir der anderen Hand von meiner Daunenjacke... hach ja, das klappt ja alles super*.
Und da gerade Ostern war, flog mich die Idee des Pilgerns an. Einfacher Pragmatismus. Bis auf den E1 führt kein säkularer Weg aus Frankfurt raus. Also der Bonifatiusweg. Seine ultraleichten Gebeine wurden Mitte des 8 Jahrhunderts von Mainz nach Fulda überführt und der Bonifatiusweg verläuft folgerichtig auf der historischen Prozessionsroute. Dabei durchquert er das nördliche Frankfurter Stadtgebiet. Ab da durch die Wetterau und den Vogelsberg gen Fulda. 130 Kilometer und ein paar Höhenmeter. Zurück über den europäischen Fernwanderweg E3 über Butzbach und den Taunushauptkamm und von da aus entweder auf den E1 zurück nach Frankfurt – oder aber vielleicht doch in die U-Bahn. So oder so 140 Kilometer. Insgesamt 270 reine Trailkilometer plus erwanderte Anreise (5 für den Hinweg, für den Rückweg können durchaus 20 verbucht werden).

Wer nun eine epischen Reisebericht erwartet, sei enttäuscht. Es war nicht episch. Der Bonifatiusweg hat mir die Entbehrungen visueller Askese und die vornehmlichen Asphaltwege geißelten meine Sehne – bzw. sie verlockten mit der süßen Sünde des Hochmut, der mich Tempo machen ließ, die sanften geschwungenen Hügel, die wenigen Höhenmeter und die nicht vorhandenen steilen Anstiege bremsten mich nicht aus; so saß ich nach 3 Tagen und 110 Kilometern im wirklich schönen Tal der Schwarza, hielt meine dreckigen und dampfenden Füße in das eiskalte Wasser und bestaunte ein ziemlich schmerzhaftes dickes Ei an meinem linken unteren Schienbein, was bei jedem Anziehen des Spanns weh tat.
Hah, Hochmut! Ist die Trägheit nicht auch eine von diesen Todsünden? Immerhin habe ich David Fincher's „Se7en“ geschaut. Aber mal ganz vernünftig. Erstmal Kühlen, morgen weiter schauen, vielleicht 'ne Ibu für die Nacht. Aber vorher noch einmal schauen wie es morgen eigentlich weitergeht. 
 
Die ersten 110 Kilometer haben mich nicht überzeugt: Es ging miest aspahltiert und sehr gearde durch die postglaziale Hügellandschaft der Wetterau, ein intensiv landwirtschaftlich genutzter Patchwork aus Streuobstwiesen, Äckern, Felder, Futtermittelwiesen, Weiden, einigen Wäldern und – ach, noch ein ein paar Auen, die naturräumlich soweit von Bedeutung sind, als dass sie durch die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/EWG geschützt und organisiert sind. Den aufmerksamen Naturfreund*innen sind sie durch diese Infotafeln auf den „Natura 2000“ steht, bekannt unten rechts ein kleines blaues Fähnchen mit vielen gelben Sternen drauf. Ich bin ornithologisch weder bewandert noch begeistert, so ist es natürlich äußerst majestätisch einen Storch im Landanflug auf seine Futterwiese zu sehen, ich gerate aber deswegen auch nicht in Verzückung. Den optischen Entbehrungen entsprach so denn auch ein stark nach innen gerichteter Blick der ungestüm durch die Welt seiner Gedanken, Bilder, Tagträume, Snippets, Ausschnitten, Fetzen, Trailer stolperte, mäanderte, trieb, hetzte, rannte... immerhin die erste Tour seit der Rheinsteig -Section im November alleine. Irgendwo im wirklich allerletzten Vorort Frankfurts (Nieder-Erlenbach) kam mir das Bild, wie die Kaffeedose, die ich mit einem damaligen besten Freund mit Feuerwerkskörpern vollstopfte und dann einen anzündeten um zu schauen was passierte... ein dumpfer Knall, die Dose machte einen Satz, mehr auch nicht... ungefähr das war in meinem Kopf los. Ein Feuerwerk, das implodiert. Somit haben mich vielleicht die Bonifatiuskilometer auch nicht überzeugt weil ich sie gar nicht gesehen habe... es wird eines der Mysterien des Trails bleiben.

Nichtsdestotrotz blieb so noch zu klären wie es denn nun morgen gen Fulda weiter geht. Ich habe im Vorfeld meine Vorbereitung auf GPXies runterladen und Rucksack packen beschränkt – den Rest sollten Glück, Zuversicht, Improvisationstalent und die Zivilisationsnähe schon erledigen. Also staunte ich nicht schlecht, als mir die GPXies sagten ab Blankenau sind E3 und Bonifatiusroute identisch. Ah, was?! Aha! Vorbereitung ist alles. Okay, habe ich noch was über das ich schlafen muss. Immerhin reden wir hier von 40 Kilometern. Aber, zuvor gilt das ich mich der Schlafplatzsuche widme. Das weite Tal der Schwarza ist schön, aber eine kalte Senke, in der ich morgen mein Setup kondenstriefend und mich verfroren bergen kann, dass will ich nicht. Die tiefgreifende topologische Erkenntnis des Tages ist, wo Talsohle, da auch Berghänge, und egal wie sanft geschwungen die kaum wahrnehmbaren Höhenlinien auf der Karte auch scheinen, sie sind hinreichend um nur Schlafplätze in Schieflage zu generieren.
Ächzend mache ich mich die eine Hügelflanke hoch in der Hoffnung oben etwas flacheres, gerades zu finden. Nein, nicht wirklich, aber ich stolpere über den E3. Na, zumindest das hätte ich geklärt. Hier finde ich auch was leidlich gerades, das mit etwas Laub noch etwas besser ist und mich ignorieren lässt, dass es direkt auf dem Präsentierteller neben den Trail ist.

Geläutert und begebe ich mich auf den säkularen E3 und stelle ernüchtert fest: ist auch ein Camino. Als ich jedoch vor dem ersten "richtigen" Trailmarkierung" stehe mit den magischen Worten „Atlantik-Ardennen-Böhmerwald“ klingen sie wie Thru-Hikers heilige Dreifaltigkeit. Atlantik! Ardennen! Böhmerwald! Amen! An meinem geistigen Firmament irrlichtern Götterstrahlen: mindestens 2500 Kilometer. Ich gehe vor meinen innere Auge meine Lighterpack-Tabelle durch. Nicke zufrieden. Damit komme ich bis an den Atlantik. Der Schlafsack ist zu warm, aber ansonsten... einen Nagelclipser in der nächsten Drogerie. Ein warmes Kribbeln wallt durch meinen Körper. Hallo Trail, hier bin ich, dein verlorener Sohn! Ja, ich gebe es zu i am hooked. Dieses Thru Hiking, als synonym für Fernwandern, ist ein Sehnsuchtsort und wer einmal weite Strecken auf einem dieser Wege zurückgelegt hat, wird es auch als ein inneres Erweckungserlebnis wahrnehmen, die Klaviatur aus Lust, Passion und Leidensbereitschaft mit der ich mich ohne Not sofort wieder solch einem Trail überanworten werde, wird beim Anblick solcher Trailmarkierungen immer wieder auf's Neue rauf und runter gespielt, ein Overtüre der Sinnlichkeit – vor allem wenn ich einen gepackten Rucksack auf dem Rücken habe. Meine Innere Playlist lässt noch einmal die Ohrwürmer des Trails bisher durch den Kopf paradieren. Die Bässe sind Fett, die Sonne scheint und es sind keine Asphaltwege. Halleluja!
Zunächst über Felder und Äcker in einen schier nicht enden wollenden Buchenwald. Kathedralenartig ragen die Stämme in die lichtgrünen Kuppeln des Blattwerks. Ich laufe mich in Trance – Hikers High – und vernehme nur noch das Hallen meiner Schritte und das Klackern meiner Trekkingstöcke in der unendlich wohltuenden Leere meines Kopfes. Felder, Ortschaft. Felder - da war was - ich kann mir nur schemenhaft erinnern. Grell leuchtend gelber Raps, frisch gepflügte braune Äcker, das satte Grün der Weizenfelder, weiß und rosa blühende Streuobstwiesen mal mit Löwenzahn, mal mit den ersten Gänseblümchen gesprenkelt, Wegränder von weißen Wänden aus Weißdorn gesäumt, alles kontrastiert von einem klaren blau strahlenden Himmel. Und wieder unendlicher Wald. Zwischendrin etwas zerpflückt, mit lichten Stellen, viel Wasser, hat etwas sumpfiges. Ich assoziiere Skandinavien, erinnert mich aber auch an einzelne Abschnitte des Soonwaldsteiges. Für einen kurzen Moment kommt mir alles etwas wilder vor. Von einem älteren Ehepaar auf ihren E-Bikes werde ich aus meinen Wildnis-Phantasien jäh gerissen. Ist der Vogelsberg. Nicht mehr und nicht weniger. Ich laufe am Hoherodskopf abermalig vorbei, überlege kurz ob ich den Umweg für seine Erklimmung in Kauf nehmen soll, entscheide mich dagegen, die Liste meiner 700er ist schon reichlich bestückt – und schöner als der Altkönig kann er eh nicht sein.

Unterhalb des Bilstein verspricht mir eine Informationstafel, das sich bei der Ersteigung des Berges ob der steilen Anstiege „alpine Gefühle regen können“ - ja, da wallte so einiges als ich über ein paar Wurzelpfade so in etwa 100 Hm gewältigte und ein paar Schweißtropfen standen mir auch auf der Stirn und außer Atem war ich auch – etwas. Der Blick vom Bilstein, ein alter Vulkanschlot, ist war einfach unbeschreiblich schön. Die Wetterau verschwand im Dunst des Tages und der Taunus war vielleicht nur zu erahnen, aber wer braucht das schon, wenn auch so schon schön ist?
So lief ich beschwingt weiter gen Niddatalsperre. Dort fand ich oberhalb des künstlichen Gewässers einen wirklich wunderschönen Schlafplatz, der auf der Karte mir zumindest einen Blick auf den See versprach, in der Realität hielt das Versprechen nicht. Naja, dafür könnte ich rätseln wo in der langgezogenen vor mir liegenden Talsohle der See nun genau sein könnte. Um ehrlich zu sein, ich verlor sehr schnell, das Interesse an dem Spiel und wendete mich den Profanitäten des Essens zu, ferner ging ich in eine vertieftes Gespräch mit meiner Sehne – die protestierte auf den letzten Metern lautstark und ich rang ihr das Versprechen nach Ruhe und Kühlung ab, wenn sie mit mir noch gemeinsam einen Pennplatz finden würde. Die gefundene Ruhe ließ sie ihrerseits nun vorlaut werden und mehr fordern. Soweit so gut horchte ich in sie hinein und konnte sie noch davon überzeugen eine Nacht drüber zu schlafen, dann könnte wir ja gemeinsam entscheiden wie es weitergehen kann... Gute Nacht.
Am nächsten Morgen sammelte ich eine Zecke von meinem Schlafsack, die sich gerade mühselig auf den Weg zu den Futtertrögen gemacht hatte – back luck, ich war schneller. Meine Sehne begrüßte mich mein einem verknautschen „Ja, geht schon... Übertreib's aber nicht“, ich versprach ihr dafür, dass schon in Butzbach Feierabend sei. 40 Kilometer kriegt sie geschenkt, dafür soll sich mich noch 40 Kilometer tragen. Wir hatten einen Deal. Ob das alles aus medizinischer Sicht megavernünftig ist, dass möchte ich hier nicht diskutieren – ist es nicht. 
 Am frühen Morgen strahlte der See in einem schön diffusen Licht. Die nächsten 20 Kilometer bis Hungen verschwand ich in einem großen Wald und einer nebulösen Innenwelt aus Schmerzbeobachtung, innerer Leere, wirren Einzelfetzen an Gedanken, die durch meine Synapsen flirrten und sich nie einfangen, geschweige denn zu Ende denken ließen, sowie vielen Ohrwürmern, ein Best- Of Medley der letzten Tage. Hier und da ist eine Wiese. Ich lege mich drauf und gucke in den Himmel oder in die Wiese. Beobachte eine Zecke dabei, wie sie unter dem durchsichtigen Polycro Groundsheet nach mir sucht, Spinnen integrieren mich in ihren Netzbau. Es ist still. Leichtes Blätterrauschen vielleicht.
In Hungen falle ich in den örtlichen Discounter: Ich versuche mich zu zügeln und am Ende ist es doch erstaunlich viel. Wie immer. Noch auf dem Parkplatz schiebe ich dann doch alles in mich hinein. Wie immer. Hiker Hunger ist und bleibt ein schier unergründliches physiognomisches Phänomen.
Nach Hungen verläuft der Trail vornehmlich durch Äcker und Felder und ein paar Waldinseln. Kartencheck. Wo penn' ich da? Es gibt ein paar dunkelgrüne Flecken. Mal schauen.
Der Nachmittag präsentiert sich noch einmal von seiner Sonnenseite, war der ganze Tag bis dato eher kaltschwül, ist es nun heißschwül. Es drückt. Und kaum sind die Wolken weg brennt die Sonne erbarmungslos... zumindest fühlt es sich so an, als ich Bellersheim betrete. Ich zapfe Wasser am Friedhof. Erfreue mich an den 2 Kilo mehr auf den Schultern und laufe weiter gen Münzberg. Ungefähr hier will ich mir meinen Schlafplatz suchen. Der Himmel schiebt sich bleigrau zusammen, bricht auf und Götterstrahlen zerschneiden episch den Himmel, grundiert von dunklen Äckern, flankiert von gelben Rapsfeldern. Die Strahlen treffen auch noch wirklich die Münzburg.  Zuviel Kitsch. Ich muss lachen. Und ergreift mich.
Es wirklich episch aussieht. Fotos. Und als ich den Ort erreiche fängt es an zu regnen. Naja, fast. Ich habe das erste Haus passiert und es regnet richtig. Und als ich den ersten Unterstand erreiche, bin ich nass und es hört in dem Moment auf als ich mich auf die Treppen eines geschlossenen Hotels setzte. Tja. Ich esse noch mein Abendessen dort auf den Stufen. Lasse mich durch Körperwärme und Luftzug trocknen und breche dann auf Richtung den letzten dunkelgrünen Fleck auf meiner Karte zwischen hier und Butzbach. Dies soll das letzte Stückchen Wald sein in dem ich mein Tarp aufstellen möchte. 
 
Ich trotte gemächlich los und eruiere, das Grün in der Landschaft und das Grün auf der Karte. Es ist ziemlich kongruent. Nur, das Grün in der Landschaft ist ziemlich licht und es ist eingezäunt. Und weil ich abermals nicht wirklich auf die Höhenlinien geachtet habe, es ist ehrlich gesagt auch viel zu steil für ein Nachtlager. Naja, es gibt noch ein Fitzelchen, das ist etwas dunkelgrüner und nur 500 Meter weiter. Ah ja, ein klassisches Feldgehölz. Die Böschung mit Weißdorn und/oder Brombeer und diversem anderen dichten Buschwerk bewehrt macht es bereits den Einstieg zu einem Abenteuer, die Ungewissheit ob Vegetation oder Bodenbeschaffenheit überhaupt ein Biwak ermöglichen geben dem Ganzen seinen ganz eigenen Kick. An einer Stelle an der eben kein Schild steht, dass Grünabfälle nicht abzulagern seinen, schlage ich mich in die Presche, die der Müll geschlagen hat. Komme nur drei Schritte weit und bleibe im dichten Geäst hängen, erahne aber auf der anderen Seite eine Möglichkeit. Also raus aus dem Gehölz. Umlaufen und hoffen, dass es einen Einstieg gibt. Gibt es. Und es ist beinah ein Traum. Groß genug für ein Tarp. Der Boden mit Weizenspelz bedeckt. (trocken, frisch, staubig und voller Spinnen). Ich schiebe mir den Spelz so zurecht, dass die Unebenheiten ausgeglichen sind und es relativ deckungsgleich mit meinem Groundsheet ist. Es fängt an zu jucken. Ist jetzt so. Ich bin darauf nicht allergisch. Und wenn dann bin ich es erst nach dieser Nacht bzw. nach dieser weiß ich es (ich habe aber auch schon einmal eine Nacht in einem Heuhotel gemacht und mein Rücken war das größere Problem am Morgen).
Pünktlich zum Aufschlagen des Tarps fängt es an zu regnen und der Wind zerrt an meinen Aufbaunerven und an meinem Gatewood. Ich richte mich häuslich mit meinen vielen Mitwohnerinnen ein – die aber schon WG erprobt, verstehen, dass Schlafende in ruhe gelassen werden. Also kein Stress.
Bis auf das eine Exemplar, dass sich todesmutig in meine Schuhe verkrochen hat – für alle die nicht wissen was das bedetet, einmal zum ausbuchstabieren: In einen Schuh der ca. 1000 Kilometer Hiking und gerade den frischen Mief von knappen 200 Kilometern in sich hat, ein olfaktorisches Highlight. Aber wahrscheinlich riechen Spinnen nicht. Das diese eine sich meinen Schuh ausgesucht hatte, wurde mir aber auch erst gewahr, als ich nachts barfuß in ebendiesen schlüpfte um meinem obligatorischen Toilettengang nachzugehen.
Ich bin nicht arachnophob, aaaaber, das Gefühl etwas, von dem du ahnst, das es sowas wie eine Spinne ist, panisch auf deinem Spann auf und ab rennt; du aber, ob des Harndrangs, dich zuerst diesem Problem widmen musst und das Tier über deinen Fuss laufen lassen zu müssen, hat für mich den Begriff des „Dinge aushalten müssen“ noch einmal neudefiniert. Zudem es mit dem Schuhe ausziehen an sich wahrscheinlich nicht getan wäre, immerhin fühlte sie sich so groß an, dass ich am nächsten morgen noch den restlichen Spinnenmatsch aus dem Schuh puhlen müsste, wie groß dieser sein würde, würde von der Menge an meinem Fuß abhängen – und der wirklichen Größe des Tieres. Aber ich wollte einfach nur das das Krabbeln aufhört, zog schnell, nach verrichtetem Geschäft meinem Schuh aus und da sah ich es. Recht kompakt, immerhin daumennagel groß und quicklebendig, hangelte es sich über den Spann schnell auf die Lasche. Altra Running Lone Peak 4.0. Embrace the Space. Save the Spider.
Da ich den Rückzugsort der Vögel in der Monokultur gestört habe, habe sie mir zum Dank mein Tarp voll gekackt. Zurecht. Ich packe ein und trolle mich meine letzten acht Kilometer nach Butzbach und lasse den Vögeln ihr letztes Refugium, dass Mensch ihnen gelassen hat. Ich habe mich gestern zum Döner-Frühstück mit Dennis a.k.a. onwards hiking (insta) verabredet, der ist grade auf dem E3 gen Osten, immer der Sonnen entgegen, Weltumwanderung. Noch einmal zum Mitschreiben: W-E-L-T-U-M-W-A-N-D-E-R-U-N-G. Wir werden über zwei Stunden auf einer Bank vor dem Bahnhof über alles und nichts, über das Allgemeine und das Besondere, über Baseweight-“Penislängen“, fehlende Trailkultur in Deutschland, Coronahikes, die Unterschiede zwischen Pilgern und Thruhiking reden, und dann doch keinen Döner frühstücken – als wir uns verabschieden und ich vor allem am Abend seinen Instapost lese, habe ich das Gefühl, dass dieser Moment einen ganz besonderen Platz in meinem Herz bekommen wird.




*So lakonisch und flappsig ich über die Einschräkung der Grundrecht qua Verordnungen ironisiere, möchte ich hier vor allem etwas Politisches klarstellen: in diesem Sumpf blubbern grade Verschwörungsideolog*innen, selbst ernannte Wunderheiler*innen, Nazis, querfrontlerische Impfgegner*innen, New Age Braun esoterische Kreise, Antisemit*innen, Rassist*innen und Völkische munter Wirres vor sich und mobilisieren hier und da Menschen auf die Straße. Das ist nicht meine Crew. Also bitte nicht missverstehen, ähnliche Formen deuten nicht auf gemeinsame Inhalte und umgekehrt - und weil Nazis kein Hegel lesen, verstehen sie das auch nicht. Dilaketikk Digga!

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