Angekommen. Kommodifizierte Lamoryanz: Aus dem Innenleben eines - zugegeben, kleinen - Influencers

Okay, okay. Ole und Wolfgang haben recht: Monadisierte Konkurrenzsubjekte, steigbügelhaltend den neokonservativen Backlash von Körperbildern und Rollenverständnissen - freilich neoliberal geframed - propagierend, jederzeit und überall gewillt alle mit einer soap-operettenhaften "Tyrannei der Intimität" (Richard Sennett) zu überziehen, scheinemanzipatorisch ins Storyformat gekübelt, Verbundenheit heuchelnd, Akquise und Kund*innenbindung meinend - Ungefähr so sind sie, dieses Influencer*innen, sagen Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt in ihrem Buch "Influencer. Die Ideologie der Werbekörper". Autsch. Und ich bin jetzt einer von denen?

Für so ein vernichtendes Urteil habe ich mich Kilometer um Kilometer durch die Ödnis von Agrarwüsten und Wirtschaftswäldern, romantisch verklärt als Kulturlandschaft gequält, habe mir Schienbeinkantensyndrome, Plantar- und Achillessehnenreizungen gelaufen, habe mir meine Behausungen von Wind und Wetter wegreissen und mich nassregnen lassen, habe meine mentalen und physischen Belastungsgrenzen immer und immer wieder neujustiert, verschoben und erweitert, habe Equipment verschlissen und verloren, habe meine liebsten Sozialbeziehungen strapaziert und teilweise überdehnt, habe all dies in herzzerreisende Posts gestopft, habe innere und äußere Wahrnehmungen immer und immer wieder tagesaktuell als on-trail Tagebuch geteilt. Ich habe mich professionalisiert, habe mich in Fotobearbeitung gefuchst, habe mein story-telling und -writing auf neue Füße gestellt, meinen eigenen Stil erarbeitet, habe mich beständig als Marke weiterentwickelt und nun der herzlose Dank. Immerhin habe ich all dies getan um irgendwann, irgendwie irgendetwas handfestes und nicht nur Wertschätzung, Achtung, Lob und Anerkennung zu bekommen - ist es zählbar? Ja ist zählbar, Anerkennung treibt an, das unsichtbare Kapital das der entgrenzte neoliberale Kapitalismus seit geraumer Zeit auch bereits für sich entdeckt hat und es einer weiteren Welle von Durchökonomisierung unterwirft, nur die postmoderne, steril-serielle und schlussendlich nichtssagende Anerkennung in Form von Likes machen den Kühlschrank nicht voll - die Seele auch nicht im übrigen. Aber das ist ein anderes Thema.

Nachdem ich in Bamberg auf meinem Lowest 2 Highest nach launigen 750 Kilometern mit zerschundenen Füßen, urlaubsreif von diversen Wetterkapriolen gestrandet bin, habe ich in einer Lust und Laune Aktion einen Schuhhersteller gefragt, ob ich ein paar Trailrunner haben kann, der Boss persönlich antwortete mit einem Daumen Hoch Emoij - ungefähr so unprätentiös, wie für mich überraschend, war ich etwas, was böse Zungen als Influencer bezeichnen würden. So die Legendenbildung. Tja. Ob ich dieses Etikett mir selber anheften würde weiß ich nicht – wer spielt schon gerne mit den Schmuddelkindern.

Aber ganz nüchtern betrachtet: Ole und Wolfgang – wir sind ja in dieser Netz-Community aller per Du – skizzieren, einen prototypischen Werdegang. In der die Werdung zum Werbekörper dem Branding nachgängig ist. Erst die Marke, dann die Werbeplattform. Für welche Produkte scheint randomisiert. Handyhüllen, Taschenlampen, Energyriegel, Onlinespiele - nicht alles muss immer Outdoorsy sein, als ob der Fussballer Kopfballstärke mit dem Shampoo begründen für das er wirbt, hauptsache Werbekörper und Zielgruppe matchen. Was als harmlose Spielerei beginnt... und am Ende will es keiner gewusst haben und niemand hat mitgemacht.

Schwerer wiegt die Analyse -ach Quatsch, der Vorwurf - des konservativen Körperbilder- und Geschlechterrollenbacklashs. Mein metropolitan-kosmopolitischer Habitus, der mild herablassend auf die Ödnis des Habitats (sofern es nicht der Bebildung des eigenen Storytellings zweckdienlich ist) der autochtonen Landbevölkerung mit einer Mischung aus sanfter Sehnsucht und grenzenloser Arroganz blickt, jedoch immer wieder auf's Neue seine Grenze an den nicht von mir berücksichtigen Mittagspausen von dörflichen Tante-Emma-Läden findet, möchte sich weder das Adjektiv „konservativ“ noch den „Backlash“ anheften lassen – immerhin geht es immer Vorwärts (wohlgemerkt auch da wo die Präfixe „De-“ vermeindliches Gegenteil vermeinen, sind doch Defunding und Degrowth Chiffren für das Vorwärts in weniger Gewalt und schlichterdings Überleben). Aber ganz im Ernst: Jungs,– ob ihr wollt oder nicht – der Cis-Männer-Thru-Hiker verkörpert gerade zu prototypisch ein neoliberales Männlichkeits(körper)bild, kondensieren doch im Thruhiker tradierte und neue Männlichkeitsbilder, alte Bilder des Körperpanzers (Klaus Theweleit) und neuere Konzeptionen von hegemonialer Männlichkeit (Raewyn Connell) werden in Trailrunnern, Shorts und Hawaii-Hemden synthetisiert und als Lifestyle propagiert und social-media-tauglich kommodifiziert. Auf der Langstrecke ist der nationalsozialistisch codierte Körperpanzer hinderlich, die reine stumpfe Härte hat den Körper zur Bedingungslosen Kapitulation und zur „Unfähigkeit zur Trauer“ (Mitscherlich) geführt, statt zu den Weihungen des Endsieges und einer 1000jährigen Ewigkeit. Härte entscheidet nicht auf der Distanz – nichtsdestotrotz wirkt sie als Residuum fort, als abrufbare Ressource wenn sie gefragt ist, die sogenannten Softskills der Selbstführung sind nicht immer hilfreich, das wusste auch schon Foucault, wenn auf der „Bullen im Kopf“ rekurrierte, immerhin auch nicht mehr als eine Chiffre für im kollektiven Körperwissen geronnene Dispzilplnarmacht – eine wilde Gemengelage aus Fitness, mentaler Stärke, unterstützenden und tragenden Strukturen, die in einem beständigen Wechselspiel situationsbedingt abgerufen werden können und optimal eingesetzt zum Ziel – the most further point of elsewhere – führen (das zumeist die unterstützenden und tragenden Strukturen unsichtbar bleiben, ist ein Signum einer Selbstinszenierung, die ideologisch verblendet meint ein Thruhike sei eine Robinsonade und somit nicht zuletzt die Strukturen der Care- und Dirtywork, die den Hike und seine Verwrklichung erst ermöglicht haben unsichtbar macht und damit eben jenem inhärenten Sexismus Vorschub leistet). Ein Thruhike ist ein klassisches Projekt. Es geht nicht darum ein bestimmtes Quantum an Arbeitszeit abzuleisten, es geht darum ein Ziel zu erreichen: selbstbestimmt, zielorientiert, effizient, alle individuellen Ressourcen (-auch die Beherrschung fremder) nutzend. Wie, danach fragt der Algorithmus nicht, freilich fragt der Ethos der Scene danach, weshalb sich yellow blazing verbietet – jedoch fragt eben jener Algorithmus nicht nach Ethik, Codizes und Moral, es ist ein Rechenschieber und das Zielfoto hat nun mal einen höheren Marktwert als alle Kilometer zuvor. Es gibt Marktsegmente, die lassen sich so abspeisen. Insta-Hiker z.B, die Fast-fashion in der Hiking Community, Spottzielscheibe und wichtige Grenzlinie in feinen Distinktionsgefüge von Dayhiker, Weekend-Warriors, Section-Hiker und Thruhiker. Die „feinen Unterschiede“ (Pierre Bourdieu) die hier zu Markte getragen werden, wie die Auswahl der genutzten Cottages, des Outfits und des Basweights, entscheiden über das reputative und damit auch ökonomische Wohl und Wehe im Haifischbecken Instawelt. Wer all dies beherrscht, jene feinen Taxonomien instinktiv versteht und nutzen kann, möge nicht angetrunken in einem Biergarten sitzen und nach Schuhen betteln, weil sie wieder durch sind...

Nur was hat das alles mit dem konservativen Backlash zu tun? Einen optimierten Körper, mit einem ausbalancierten und selbstmotivierten Geist durch eine hashtagable Landschaft mit einem aufs letzte Gramm abgestimmten Gepäckstück läuft, das ganze hedonistisch als Selbstverwirklichung (egal welcher Natur) social-medial zu Markte trägt – egal ob mit random pseudo-sinnhaften Abreißkalender-Sprüchen oder mit leichter Lamoryanz vorgetragenem Pendeln zwischen Leid und grenzenloser Überwältigung ob des Erlebten – es ist nicht anderes als Selbstdarstellung auf einer Werbeplattform, deren Marketingabteilung festgestellt hat, das der Begriff „social media“ verkaufsfördernder ist, als „Dauerwerbesendung“, in der wir als Konkurrenz- und Leistungssubjekte eine Nabelschau sondergleichen veranstalten – manche verdienen damit nicht zu knapp Geld, manche sind nur Claqueur*innen und eine Vielzahl hängt irgendwo dazwischen. Nunja, es ist nichts Revolutionäres und Progressives an diesem Modell, kein Lebensmodell um des Lebensmodell willens, wäre es so, würden wir einfach wandern gehen und die Fresse halten. Tun wir nicht. Wir können uns nicht unschuldig bestimmter Marktmechanismen bedienen und vermeinen wir seien nicht Teil davon. Das ist mehr als Naiv, dass ist Dumm und Ignorant. Und selbst wenn es im besten Willen subversiv genutzt wird, dann muss klar sein, welcher Muff dran hängt – Myriaden von Popkulturtheoretiker*innen können ein Lied davon singen.

Es ist vornehmlich ein Männerkörper der die Szenerie beherrscht, in Deutschland sehr viel mehr als in den USA – zum Großteil sind sie weiß. Jeder weiße cis-Mann mehr, der in der Szenerie auftaucht, ist wieder mal einer zu viel. Wieder einer mehr für die homosoziale Echokammer Thruhiking (jepp, die ganz Schlauen verweisen auf die langsame Diversifizierung der Community und ja recht habt ihr...), wieder ein potentiell Verbündeter in Sachen Herrenwitz, Bro'ism, rhetorischer Modernisierung („Meine Freundin/ Frau versteht meine monatelange Abwesenheit, ich brauche das schließlich, sie kann ja auch wenn sie will...“), Mysogonie, Schwulen- und Transfeindlichkeit; wieder einer mehr, der im Choral einfach wegen des Geschlechts, der Hautfarbe und seines Begehrens strukturell etwas lauter ist als die vielfältigen Stimmen der Marginalisieren – und wenn er nicht laut genug ist, jene Strukturen, die je nach Schule, Patriachat, Sexismus, Heteronormativität heißen, allen ist gemeinsam, dass am oberen Ende der Biases der Typ steht, ein struktureller Lautsprecher. No front, bros. Ihr könnt nichts dafür. Ich kann nichts dafür. Its Sexismus und deshalb sind wir auch und mit dafür verantwortlich, weil wir davon profitieren. It's a trap. Sry, Bros. Doch nicht so einfach.

...ich könnte jetzt ewig so weiter machen, das diese Körper meist able, sportiv dünn sind, dass sie meist eine höheren Bildungsabschluss haben und so weiter. Am Ende kommt jedoch immer etwas ähnliches zu Tage, ein Bilderrauschen der Gleichförmigkeit. Weil ihm die gleichen Strukturen zu Grunde liegen, somit werden auch immer die Selben nach oben gespült – nämlich jene, für die gläserne Decken eine architektonische Finesse sind und nicht die Konkretion kategorialer Grenzen ihrer Identiätsmerkmale. 

In einer komödiantenhaften Volte könnte ich mich zu einem loosy Schuhverkäufer machen – die Popkulur schenkte uns einen Prototypischen - und mich hinter der komplizenhaften Männlichkeit (Raewyn Connell) verstecken. Es ist und bleibt mit diesen Strukturen, also im herrschaftskritischen Sinne dummerweise ein saloppes „Mitgehangen-Mitgefangen“, Strukturkategorien sind nun mal kein amorphes, frei flottierendes diffuses Irgendetwas, sondern spezifisch gebrochen verdichtet in einem Geflecht von sozialen Praxen, Gesetzten, (Staats-)Apparaten, Institutionen (Nicos Poulantzas). Macht es das einfacher? Nope.

Ich bin ein Schuhverkäufer, der kulturtheoretisch beflissen weiß das Gänsehaut, das erste ästhetische Bild ist (Theodor W. Adorno) und sie als solche zu evozieren versucht. Damit versuche ich die Sterilität der Oberfläche zu irritieren, zugleich besetze ich damit eine Nische. Mein Unique Selling Point - ob ich will oder nicht, da schützt auch das Adorno-Seminar nicht vor. Aber wegen meines USP kann und darf ich Schuhe verkaufen. Wohlgemerkt nicht jene, die ich gerne hätte, dafür ist mein Wert nicht hoch genug. Ich habe genug von mir entäußert um als authentisch zu gelten. Ein authentischer Schuhverkäufer. Die Lamoryanz on trail ist real gefühlt und vorgetragen, sie ist zugleich Persona, eine „Benutzeroberfläche“ (Alexander Schimmelbusch) des Sagbaren und Zu-Sagenden, sie ist vorgetragen als eine Nacktheit und Vulnerabilität, deren Feigenblatt ihre Offenheit und das Wissen darum ist. Das Ganze tue auch auf einer Plattform die prototypisch für das Zähl- und Messbare steht, die Narration nur als ihre sinnentleerte Entblödung. Likes und Interaktionen sind die harte, zählbare Währung und nicht die Erzählung und ich mache mit. Zugleich ist die „Narration das Vermögen des Geistes, die Kontingenz des Körpers zu überwinden“ (Byun-Chul Han) und die Lamoryanz ist nun jener Schmerz, jener Riss durch den das Glück quellen kann und sich mit ihm zur Passion verbindet und davon erzähle ich. Ist das nun subversiv, ein Guerillero im Social-Media Dschungel? Keine Ahnung. Dummheit schützt vor Strafe nicht. Ich kann sagen, ich denke, ich weiß was ich da tue. Macht es das besser? Wahrscheinlich nicht. Mich stört mehr das ich keinen catchy Abschluss finde, als der Umstand mich durch die Ambivalenzen von der privilegierten Existenz im beschädigten Leben zu lavieren und daraus eine beständige Narration der Kontingenz zu schaffen, die dem Geist seine Konsistenz gibt.Und mich zum Schuhverkäufer qualifiziert...



 

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